Jeden Satz der Bibel wörtlich nehmen âˆ’ Fragen an Fundamentalisten

Der folgende Text kursiert seit Mai 2000 im Internet. Er stammt aus den USA, wo die Radiomoderatorin Dr. Laura Schlessinger Leuten, die in ihrer Sendung anrufen, RatschlÀge erteilt. Auch wenn der Text einen eher humorvollen Charakter hat und eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung nicht ersetzen will, macht er doch auf ein inhÀrentes Problem einer fundamentalistischen Bibelauslegung aufmerksam: Wenn manche Stellen der Bibel als wörtlich verbindlich akzeptiert werden, warum dann nicht alle? Und wie trifft man die Auswahl; hat das nicht doch mit eigenen Vorurteilen zu tun?

 

Offener Brief an Dr. Laura aus den USA

Dr. Laura SchlessingerDr. Laura Schlessinger (Foto: Phil Konstantin, CC BY-SA 3.0)

Liebe Dr. Laura,

vielen Dank, dass Sie sich so aufopfernd bemĂŒhen, den Menschen die Gesetze Gottes nĂ€her zu bringen. Ich habe einiges durch Ihre Sendung gelernt und versuche das Wissen mit so vielen anderen wie nur möglich zu teilen. Wenn etwa jemand versucht, seinen homosexuellen Lebenswandel zu verteidigen, erinnere ich ihn einfach an Lev 18,22, wo klargestellt wird, dass es sich dabei um ein GrĂ€uel handelt. Ende der Debatte.

Ich benötige allerdings ein paar RatschlÀge von Ihnen im Hinblick auf einige der speziellen Gesetze und wie sie zu befolgen sind:

  1. Wenn ich am Altar einen Stier als Brandopfer darbiete, weiß ich, dass dies fĂŒr den Herrn einen lieblichen Geruch erzeugt (Lev 1,9). Das Problem sind meine Nachbar*innen. Sie behaupten, der Geruch sei nicht lieblich fĂŒr sie. Soll ich sie niederstrecken?
  2. Ich wĂŒrde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es in Ex 21,7 erlaubt wird. Was wĂ€re Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis fĂŒr sie?
  3. Ich weiß, dass ich mit keiner Frau in Kontakt treten darf, wenn sie sich im Zustand ihrer menstrualen Unreinheit befindet (Lev 15,19–24). Das Problem ist, wie kann ich das wissen? Ich hab versucht zu fragen, aber die meisten Frauen reagieren darauf pikiert.
  4. Lev 25,44 stellt fest, dass ich Sklaven besitzen darf, sowohl mĂ€nnliche als auch weibliche, wenn ich sie von benachbarten Nationen erwerbe. Einer meiner Freunde meint, dass wĂŒrde auf Mexikaner*innen zutreffen, aber nicht auf Kanadier*innen. Können Sie das klĂ€ren? Warum darf ich keine Kanadier*innen besitzen?
  5. Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet. Ex 35,2 stellt deutlich fest, dass er getötet werden muss. Allerdings: Bin ich moralisch verpflichtet, ihn eigenhÀndig zu töten?
  6. Ein Freund von mir meint, obwohl das Essen von Schalentieren – wie Muscheln oder Hummer – ein GrĂ€uel darstellt (Lev 11,10), sei es ein geringeres GrĂ€uel als HomosexualitĂ€t. Ich stimme dem nicht zu. Könnten Sie das klarstellen?
  7. In Lev 21,20 wird dargelegt, dass ich mich dem Altar Gottes nicht nÀhern darf, wenn meine Augen von einer Krankheit befallen sind. Ich muss zugeben, dass ich Lesebrillen trage. Muss meine Sehkraft perfekt sein oder gibt's hier ein wenig Spielraum?
  8. Die meisten meiner Freunde lassen sich ihre Haupt- und Barthaare schneiden, inklusive der Haare ihrer SchlÀfen, obwohl das eindeutig durch Lev 19,27 verboten wird. Wie sollen sie sterben?
  9. Ich weiß aus Lev 11,7–8, dass das BerĂŒhren der Haut eines toten Schweines mich unrein macht. Darf ich aber dennoch Fußball spielen, wenn ich dabei Handschuhe anziehe?
  10. Mein Onkel hat einen Bauernhof. Er verstĂ¶ĂŸt gegen Lev 19,19, weil er zwei verschiedene Saaten auf ein und demselben Feld anpflanzt. DarĂŒberhinaus trĂ€gt seine Frau Kleider, die aus zwei verschiedenen Stoffen gemacht sind (Baumwolle/Polyester). Er flucht und lĂ€stert außerdem recht oft. Ist es wirklich notwendig, dass wir den ganzen Aufwand betreiben, das komplette Dorf zusammenzuholen, um sie zu steinigen (Lev 24,10–16)? GenĂŒgt es nicht, wenn wir sie in einer kleinen familiĂ€ren Zeremonie verbrennen, wie man es ja auch mit Leuten macht, die mit ihren SchwiegermĂŒttern schlafen (Lev 20,14)?

 

Ich weiß, dass Sie sich mit diesen Dingen ausfĂŒhrlich beschĂ€ftigt haben, daher bin ich auch zuversichtlich, das Sie uns behilflich sein können. Und vielen Dank nochmals dafĂŒr, dass Sie uns daran erinnern, dass Gottes Wort ewig und unabĂ€nderlich ist.

Ihr ergebener JĂŒnger und bewundernder Fan