von Leo Volleth, Ismaning

Das Thema Bibel und HomosexualitĂ€t scheint mir innerhalb unseres Projekts besonders wichtig. Es ist aber auch ein schwieriges Kapitel, da es ĂŒber die Interpretation der Bibel keine einheitliche Meinung gibt. Ist jedes Wort der Bibel normierendes Gotteswort oder sind auch Aussagen der Bibel zeitgebunden, wie z. B. die Texte ĂŒber Himmel und Erde (1. Mose 1,14–17; Hiob 38,6 oder Psalm 89,12). Wir wissen heute, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe, die auf SĂ€ulen ruht.

Ich verstehe die Texte des Alten Testaments und Neuen als das Wort Gottes: Dieses Wort Gottes erging jedoch an ganz bestimmte Menschen zu ganz bestimmten Zeiten. Menschen machten Gotteserfahrungen und schrieben diese nieder. Dies zu beachten ist wichtig bei der Interpretation der biblischen Aussagen zum Thema HomosexualitÀt. Es muss immer die Entstehungsgeschichte und die Funktion der jeweiligen Aussage mitbedacht werden.

AuffÀllig ist, dass das Thema in der Bibel nur eine beilÀufige ErwÀhnung findet. Weder bei den Propheten des Alten Testaments, noch bei Jesus wird es erwÀhnt. Die Stellen, in denen von HomosexualitÀt gesprochen wird, verurteilen diese jedoch unzweideutig.

 

Altes Testament

Im Alten Testament finden wir vier direkte Belege, die jedoch paarweise zusammenhÀngen (so behandle ich sie als zwei Belege).

Gen. 19,4–13

Lot, der in Sodom wohnt, bekommt Besuch von zwei Boten Gottes (Engeln), die er gastlich bei sich aufnimmt: Sie hatten sich noch nicht zur Ruhe begeben, als schon die MĂ€nner der Stadt, jung und alt, das ganze Volk bis auf den letzten Mann, das Haus umringten. Sie riefen Lot und sagten zu ihm: „Wo sind die MĂ€nner, die heute Abend zu dir gekommen sind? Bringt sie zu uns heraus, damit wir sie erkennen (d.h. sexuellen Verkehr mit ihnen haben)!” Da ging Lot zu ihnen hinaus vor den Eingang, wĂ€hrend er die TĂŒr hinter sich schloss und sprach: „Meine BrĂŒder, begeht doch nicht einen solchen Frevel! Da habe ich noch zwei Töchter, die noch keinen Mann erkannt haben. Diese will ich zu euch herausbringen, und tut mit ihnen was euch beliebt. Diesen MĂ€nnern aber dĂŒrft ihr nichts tun; denn sie haben sich unter den Schatten meines Daches begeben.” Sie aber schrieen: „Fort mit dir! Ist da einer als Fremdling hierher gekommen und will schon den Richter spielen! Dir wollen wir noch Schlimmeres antun als jenen.” Und sie drangen ungestĂŒm auf den Mann, auf Lot ein, und waren schon nahe daran, die TĂŒr aufzubrechen. Da streckten die MĂ€nner ihre Hand aus und zogen Lot zu sich in das Haus und schlossen die TĂŒr ab. Die Leute vor der HaustĂŒr aber schlugen sie mit Blindheit, klein und groß, dass sie sich vergeblich bemĂŒhten, den Eingang zu finden. Hierauf sprachen die MĂ€nner zu Lot: „Hast du noch jemand hier, Söhne und Töchter, und wer sonst noch in der Stadt zu dir gehört, so fĂŒhre sie aus dem Ort hinweg. Denn wir werden diesen Ort zerstören, weil die Klage wider sie vor Jahwe groß geworden ist (vgl. Kap. 18,20: Die Klage ĂŒber Sodom und Gomorra hat sich gehĂ€uft, und ihre SĂŒnde, sie ist sehr schwer.) und Jahwe uns entsandt hat, sie zu verderben.”

Die beiden ErzĂ€hlungen Genesis 19 und Richter 19 hĂ€ngen inhaltlich zusammen. Es wird erzĂ€hlt, dass MĂ€nner eines Ortes von einem Gastgeber die Herausgabe von GĂ€sten fordern, um mit ihnen ihren sexuellen Mutwillen zu treiben. Der Gastgeber versucht seine GĂ€ste zu schĂŒtzen, bietet dafĂŒr den MĂ€nnern seine Töchter bzw. seine Tochter und Nebenfrau an (Gen. 19,8; Ri. 19,24). In beiden ErzĂ€hlungen geht es um die Übertretung! von Recht und Sitte. An erster Stelle steht die Verletzung des Gastrechts, dann folgen Gewalt, Notzucht und Mutwillen mit Menschen.

HomosexualitÀt ist nicht das Thema dieser beiden ErzÀhlungen sondern die Verletzung des Gastrechts, Gewalt an Menschen und Notzucht. Dadurch werden Menschen schuldig.

Leviticus 18,22

Du darfst mit einem Manne keinen geschlechtlichen Umgang haben wie mit einer Frau; es wÀre ein GrÀuel.

Leviticus 20,13

Wenn ein Mann sich mit einem anderen Mann wie mit einer Frau vergeht, haben beide SchÀndliches begangen. Sie sollen mit dem Tode bestraft werden; es lastet Blutschuld auf ihnen.

Diese beiden Stellen befinden sich in dem hebrÀischen Gesetzeskodex, den wir das Heiligkeitsgesetz nennen, und der kultische und ethische Regeln enthÀlt.

Die theologische Grundlage fĂŒr diese Gesetzgebung ist die Ermahnung an Israel, dass es ein heiliges Volk ist, ebenso wie sein Gott Jahwe heilig ist (Lev. 20,26). Israel ist ein eigenstĂ€ndiges Volk und durch den Bund ist es Jahwe verpflichtet. Daher lehnt es den Götzendienst der Nachbarvölker ab, die Natur- und Fruchtbarkeitsgötter verehren. Unter den vielen Gesetzen, die Israels kultische und moralische Reinheit regeln, gibt es zwei, die die Praxis mĂ€nnlicher HomosexualitĂ€t zum Inhalt haben. Das Gesetz lehnt die homosexuelle Praxis ab, es belegt sie mit der Todesstrafe (Lev. 18,22). In der Vorstellung der Israeliten war HomosexualitĂ€t unauslöschbar mit der anrĂŒchigen Praxis der Tempelprostitution verbunden. Diese war eine stĂ€ndige Bedrohung des israelitischen Kults.

Das Verbot homosexueller Praxis in Lev. 18 ist ein Gebot in einer langen Reihe von Regeln, die den rechten Gebrauch der SexualitĂ€t zum Inhalt haben – wie es sich fĂŒr ein heiliges Volk gehört. Die kultische Abgrenzung ist hier nicht so wichtig. Denn hier werden Ehebruch verurteilt, Inzucht, Unzucht mit Tieren und mĂ€nnliche HomosexualitĂ€t. Der gleiche Text erlaubt Polygamie, verbietet den Verkehr mit einer Frau wĂ€hrend der Menstruation und sagt nichts ĂŒber weibliche HomosexualitĂ€t.

 

Neues Testament

Im Neuen Testament stehen drei Texte, die sich mit der HomosexualitĂ€t befassen: Römer 1,18–27; 1. Kor. 6,9–10; 1. Tim. 1,9–10.

Römer 1,18–27

Gottes Zorn enthĂŒllt sich vom Himmel her ĂŒber alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die Wahrheit in Ungerechtigkeit niederhalten. Ist doch, was sich von Gott erkennen lĂ€sst, in ihnen offenbar; Gott selbst hat es ihnen kundgetan. Denn sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und Göttlichkeit sind seit der Erschaffung der Welt an seinen Werken durch die Vernunft zu erkennen. Sie sind darum nicht zu entschuldigen, weil sie trotz ihrer Erkenntnis Gottes ihn nicht als Gott verherrlichten und ihm nicht dankten, sondern sie verfielen in ihren Gedanken auf Nichtigkeiten, und ihr unverstĂ€ndiges Herz wurde verfinstert. Sie rĂŒhmten sich, weise zu sein, und sind zu Toren geworden. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergĂ€nglichen Gottes mit dem Abbild der Gestalt von vergĂ€nglichen Menschen, von Vögeln, VierfĂŒĂŸlern und GewĂŒrm. Darum ĂŒberließ sie Gott der Unreinheit, nach der ihr Herz gelĂŒstete, so dass sie gegenseitig ihre Leiber schĂ€ndeten, sie welche die Wahrheit Gottes gegen die LĂŒste eingetauscht hatten und nun dem Geschöpf Verehrung und Anbetung erwiesen anstatt dem Schöpfer, der hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen! Deshalb ĂŒberließ sie Gott den schimpflichsten Leidenschaften. Ihre Frauen vertauschten den natĂŒrlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatĂŒrlichen. Ebenso gaben auch die MĂ€nner den natĂŒrlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in ihrer Begierde gegeneinander: MĂ€nner trieben mit MĂ€nnern Unzucht und empfingen so den gebĂŒhrenden Lohn fĂŒr ihre Verirrung. Weil sie es verwarfen, Gott in der Erkenntnis festzuhalten, ĂŒberließ sie Gott einer verworfenen Gesinnung, so dass sie taten, was sich nicht geziemt, und nun angefĂŒllt sind von jedweder Ungerechtigkeit, Bosheit, Habgier, Schlechtigkeit, voll von Neid, Mordlust, Streitsucht, Hinterlist, NiedertrĂ€chtigkeit. Sie sind OhrenblĂ€ser, Verleumder, Gotteshasser, Frevler, Stolze, Prahler, erfinderisch im Bösen, unbotmĂ€ĂŸig gegen die Eltern, unverstĂ€ndig, treulos, lieblos, erbarmungslos.

Der Text steht in dem großen Zusammenhang von Römer 1,18–3,20: die generelle Bestandsaufnahme des Zustands der Menschlichkeit. Alle Menschen stehen schuldig da vor Gottes Gerechtigkeit, gefangen von der SĂŒnde und außerstande, sich selbst zu retten. Das Heil wird nicht durch das Gesetz gewĂ€hrt, sondern durch die Gerechtigkeit aus Glauben. Der Mensch, der nicht glaubt, unterliegt dem Zorn Gottes. Dies wird am Fall der Heiden gezeigt. GrundsĂ€tzlich kann Gott in seiner Schöpfung erkannt werden, aber die Menschen haben diese Erkenntnis verfinstert und sogar Tiere vergöttert.

Die Verfehlung der Gotteserkenntnis hat zur Folge, dass Gott die Menschen auf dieses Verhalten festlegt.

Als solches Verhalten erscheinen im ersten Abschnitt sexuelle Lasterhaftigkeit und Götzendienst (V. 24f.), zuerst eine ganze Anzahl nichtsexueller Laster (V. 28–31) und dann eben speziell die HomosexualitĂ€t. Vom Kontext her gilt hier also HomosexualitĂ€t als ein Handeln, das der Erkenntnis des in seiner Schöpfung offenbaren Gottes widerspricht.

Dieser zweite Abschnitt erscheint als ein Spezialfall des ersten, welcher Götzendienst und sexuelle Lasterhaftigkeit Oberhaupt zusammenstellt. Wie kommt Paulus dazu, den Götzendienst sofort mit sexueller Lasterhaftigkeit – und da insbesondere mit der HomosexualitĂ€t – in einen Zusammenhang zu bringen? Das Verfehlen der Erkenntnis Gottes wird im Götzendienst, also im Verfehlen des ersten Gebotes, manifest. Aber wie kommt es, dass der Götzendienst sofort mit dem sexuellen Bereich verknĂŒpft wird?

Paulus partizipiert hier in aller SelbstverstĂ€ndlichkeit an seiner jĂŒdischen Tradition: Götzendienst und Unzucht bilden einen radikal abzulehnenden Zusammenhang. Und in der Begegnung mit der hellenistischen Kultur tritt besonders die HomosexualitĂ€t als solche Unzucht ins Blickfeld. Paulus bezeichnet weiter HomosexualitĂ€t als widernatĂŒrlich und HeterosexualitĂ€t als natĂŒrlich. Damit bringt Paulus den Begriff Natur ins Spiel. Dieser Begriff aber ist nicht eindeutig. Denn auch bei Paulus wird etwas als natĂŒrlich behauptet, was sich lediglich als eine bestimmte Konvention entpuppt (vgl. 1. Kor. 11,14f.).

Im griechischen Kulturbereich wurde von manchen Schriftstellern HomosexualitĂ€t genauso als natĂŒrliche Veranlagung erklĂ€rt wie HeterosexualitĂ€t.

Steht aber hinter den Aussagen des Paulus in Römer 1,26 f. nicht noch einen anderen Aspekt, insofern das, was er als natĂŒrlich bezeichnet, fĂŒr ihn auch das schöpfungsmĂ€ĂŸige ist, das von Gott als dem Schöpfer Gewollte?

Gewiss ist unbestreitbar, dass SexualitĂ€t und Fortpflanzung in einem engen Zusammenhang stehen, aber SexualitĂ€t ist nicht auf Zeugung und Fortpflanzung festgelegt. Der entscheidende Punkt des Textes aber ist, dass die göttliche Preisgabe an schĂ€ndliche Leidenschaften zugleich eine Festlegung auf ein bestimmtes schuldhaftes Tun ist. Worin erblickt er den Schuldcharakter der HomosexualitĂ€t? Er setzt voraus, dass sich homosexuell handelnde Menschen wider besseres Wissen von der auch ihnen eigentĂŒmlichen HeterosexualitĂ€t abwenden. Nur unter dieser Voraussetzung kann er auch Schuldhaftigkeit homosexuellen Handelns annehmen.

Diese Voraussetzung des Paulus stimmt aber nicht, denn der Homosexuelle trifft keine Entscheidung gegen seine Natur sondern in Entsprechung zu seiner Natur, die eben homosexuell und nicht heterosexuell ist.

1. Kor. 6,9–10

Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte keinen Anteil am Reiche Gottes haben werden? Gebt euch keiner TĂ€uschung hin! Weder UnzĂŒchtige, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch KnabenschĂ€nder, noch Diebe, noch HabsĂŒchtige, noch Trunkenbolde, noch LĂ€sterer, noch RĂ€uber werden Anteil haben am Reiche Gottes.

1. Timotheus 1,9–10

Wir wissen ja, das Gesetz ist gut, wenn einer es richtig anwendet in der Erkenntnis, dass fĂŒr einen Gerechten das Gesetz nicht da ist, wohl aber fĂŒr gesetzlose und widersetzliche, fĂŒr gottlose und sĂŒndhafte, ruchlose und gemeine Menschen, Vater- und Muttermörder, Mordbuben, fĂŒr UnzĂŒchtige, KnabenschĂ€nder, MenschenrĂ€uber, LĂŒgner, Meineidige und was sonst noch der gesunden Lehre widerstreitet.

Diese Texte stehen innerhalb von Lasterkatalogen. Neben UnzĂŒchtigen, Ehebrechern, Götzendienern werden die Lustknaben und KnabenschĂ€nder genannt. Die HomosexualitĂ€t wird damit auf eine Ebene mit Habsucht, Trunksucht oder LĂ€sterei gestellt. HomosexualitĂ€t als wesentlicher und genuiner Teil einer Person wird nicht zur Kenntnis genommen.

 

Exkurs

Die Einstellung in der Antike zur HomosexualitĂ€t. SexualitĂ€t ist in der Antike durch die HerrschaftsverhĂ€ltnisse geprĂ€gt. Der freie Mann konnte Frauen wie MĂ€nner als Sexualobjekte gebrauchen. Wenn die SexualitĂ€t innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen HerrschaftsverhĂ€ltnisses praktiziert wurde, wurde sie gebilligt. Jeder entschied sich nach seinem Geschmack fĂŒr Frauen, fĂŒr Knaben oder fĂŒr die einen wie die anderen. Vergil fand ausschließlich an Knaben gefallen, Kaiser Claudius an Frauen, und Horaz sagt wiederholt, dass er beide Geschlechter liebe (Veyne, S. 42). Knabenliebe heißt die Beziehung zu einem JĂŒngling oder Knaben. Sie war vom zwölften Lebensjahr an möglich, 16 galt als das beste Alter, 28 war die oberste Grenze.

Ein hellenistisch-jĂŒdisches Lehrgedicht zeigt die Verpönung im Judentum: Lass nie dem Knaben Locken wachsen! Flicht ihm nicht Zöpfe seitlich um das Haar! Die ĂŒppigen Frauen mögen lange Haare tragen und nicht die MĂ€nner. Der hĂŒbschen Knaben JugendblĂŒte hĂŒte. Denn viele sind wie rasend auf die Mannesliebe (Pseudo-Phokylides 210–214)!

Homosexuelle Praxis unter MÀnnern war in der Antike zunÀchst und vor allem in der Form der Knabenliebe prÀsent. Sie war weithin toleriert.

 

Kritische Auseinandersetzung

Eine einseitige Handhabung der biblischen Stellen fĂŒhrt dazu, dass mögliche Texte in der Bibel ĂŒber HomosexualitĂ€t und homosexuelle Handlungen wie unumstĂ¶ĂŸliche Aussagen der Heiligen Schrift zur HomosexualitĂ€t behandelt werden.

Wir mĂŒssen uns fragen, inwieweit uns diese biblischen Aussagen binden. Welche Texte haben fĂŒr uns heute Geltung und welche wiederum nicht?

  1. Das Gesetz im Alten Testament zielte darauf ab, die Gemeinschaft des Volkes in seiner Ganzheit zu erhalten. Daher wurde homosexuelles Verhalten abgelehnt. Es soll die Reinheit der Gemeinde im Unterschied zu Praktiken oder Umwelt bewahrt werden. Ein Mensch, der diese Ordnung ĂŒbertrat, handelte gegen Gottes Gesetz und stellte eine Bedrohung fĂŒr die mögliche Heiligung des Volkes dar. In diesem Zusammenhang mĂŒssen zwei Dinge beachtet werden:
    1. Wir haben heute eine andere Vorstellung von „Heiligkeit” als im alten Israel.
    2. Warum kommen lesbische Frauen in diesem Gesetz nicht vor? War HomosexualitÀt eine rein mÀnnliche Angelegenheit?
  2. Eine Relativierung der paulinischen Aussagen halte ich nicht fĂŒr möglich. Paulus verwirft homosexuelle Praxis als Folge von Gottlosigkeit. Sie verstĂ¶ĂŸt gegen Gottes Ordnung. Wie verbindlich sind aber diese paulinischen Aussagen?

 

Es gibt zwei grundsÀtzliche Möglichkeiten:

Entweder fundamentalistisch – und damit wĂŒrden die Aussagen des Paulus wörtlich in die Gegenwart ĂŒbernommen – oder historisch und damit relativierend. Vertreter der fundamentalistischen Position mĂŒssten die Todesstrafe fĂŒr homosexuelle Praxis unterer Rekurs auf die Bibel einfĂŒhren.

Streng genommen geht aber jeder Christ relativierend mit der Bibel um, er stellt bestimmte Aussagen in Frage oder mildert ab. Warum sollten die paulinischen Aussagen ĂŒber homosexuelle Praxis von einer solchen Reflexion ausgenommen sein? Denn aus der BeschĂ€ftigung mit den Texten ging ja hervor, dass die paulinische Sicht soziokulturell bedingt ist. Sie hat nicht den Charakter einer ewig gĂŒltigen, absoluten Ordnung auch wenn sie von einer solchen spricht. Ich denke, dass bestimmte ethische relevante Aussagen des Paulus zu akzeptieren sind, andere aber relativiert werden mĂŒssen. Und eben dies tun wir alle im Umgang mit der Heiligen Schrift. Eines jedenfalls scheint mir klar: Ein theologischer Ansatz, der HomosexualitĂ€t als Perversion und widernatĂŒrlich, als Verirrung oder Ähnliches versteht, wird im christlich-kirchlichen Verhalten zu den Homosexuellen hinter diese grundsĂ€tzliche EinschĂ€tzung nicht mehr zurĂŒckgehen können, d. h. Homosexuellen als wirklich gleichberechtigten und gleichwertigen Menschen nicht begegnen können. Will man das nicht, gibt es nur den Weg, die biblische Beurteilung der HomosexualitĂ€t zu relativieren. Wenn ich historisierend an den biblischen Befund herangehe, muss ich mich fragen, was ich als natĂŒrlich heute vertreten will. TatsĂ€chlich ist HomosexualitĂ€t eine sexuelle Orientierung von Menschen, neben ihr gibt es die heterosexuelle oder die bisexuelle Orientierung. Paulus reduziert homosexuelle Beziehungen auf die Sexualpraxis und sieht diese sexuelle Orientierung offenkundig als ein Ergebnis freier Wahlmöglichkeiten. Diese EinschĂ€tzung durch Paulus kann nicht den Rang einer absoluten und ewigen Wahrheit beanspruchen.