Vortrag von Michael Brinkschröder, gehalten am 14.09.2019 beim Vernetzungskongress des Regenbogenforums in Bielefeld.

1. Die Regenbogen-Madonna − ein Blick nach Polen

Im Mai hat die polnische Aktivistin Elzbieta Podlesna der Ikone des polnischen Katholizismus ein paar neue Farben verpasst. Der Heiligenschein der Schwarzen Madonna von Tschenstochau, wichtigstes Wallfahrtsziel in Polen, leuchtet in ihrer Version in den Farben des Regenbogens. Podlesna reagierte damit auf ein Ostergrab in ihrer Heimatstadt Plock, auf dem zu lesen war: „Behüte uns vor dem Feuer des Unglaubens“, worunter neben „Verrat“, „Gier“ auch „LGBT“ und „Gender“ aufgelistet waren.1 Nachdem sie ihre Ikone als Plakat an verschiedenen Stellen aufgeklebt hatte, wurde sie festgenommen. Wegen Beleidigung religiöser Gefühle drohen ihr nun nach Artikel 194 des polnischen Strafgesetzbuchs zwei Jahre Haft. Von „Entweihung“ und einem „brutalen Angriff auf die Kirche“ war die Rede.

Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der PiS-Partei aus Polen, meinte dazu: „Wir haben es mit einem direkten Angriff auf die Familie und Kinder zu tun. Die Sexualisierung der Kinder, diese ganze LGBT-Bewegung ... Gender ... Das ist importiert. Sie bedrohen unsere Identität, unsere Nation, und deswegen auch den polnischen Staat.“ Podlesna selbst hat den Vorwurf der Gotteslästerung zurückgewiesen: „Das ist überhaupt kein Angriff. Wie kann jemand mit einem Bild angegriffen werden?“

Der Streit um die Regenbogen-Madonna war der Auftakt der heißen Phase eines Kulturkampfes in Polen zwischen Konservativen und Liberalen. Die Liberalen und die LGBT-Bewegung erhoben die Regenbogen-Madonna zu ihrer Ikone, um die feministische Aktivistin zu unterstützten. Umgekehrt ist sie zu einem Feindbild für den katholisch-konservativen Teil der polnischen Bevölkerung geworden.

Der Streit um LGBT-Politik zog sich durch den ganzen Sommer bis zur Parlamentswahl im Oktober. Zuvor hatte der liberale Warschauer Bürgermeister erklärt, dass an dortigen Schulen ein positives Bild von LGBT-Personen vermittelt werden sollte, woraufhin ein Sturm der Entrüstung losbrach. Die PiS-Partei startete dagegen einen Feldzug und macht den Kampf gegen LGBT-Rechte, die sie langsam und behutsam zurückdrehen möchte, zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen.

Die nationalkonservative Zeitung Gazeta Polska kündigte an, ihrer nächsten Ausgabe einen Sticker mit durchgestrichenen Regenbogenfarben und der Aufschrift „LGBT-freie Zone“ beizulegen. Als ein Mann erfolgreich gegen ihre Verbreitung klagte, weil seine „Würde und sein Gefühl von Sicherheit und gesellschaftlicher Akzeptanz“ dadurch bedroht würden, änderten sie den Text in „LGBT-ideologiefreie Zone“. Gleichwohl beschloss der Regionalrat, Lublin zu einer LGBT-freien Provinz machen zu wollen. Andere PiS-regierte Provinzen folgten.

Hooligans haben im Juli die 800 Teilnehmer_innen beim ersten Pride-Marsch in Bialystok mit Steinen, Böllern und Flaschen beworfen und Hetzjagden veranstaltet. Es gab 40 Gegendemonstrationen von katholischen und nationalistischen Gruppen. Diese Gewalt war selbst der katholischen Bischofskonferenz zu viel. Ihr Sprecher sagte: „Gewalt und Verachtung können auf keinen Fall gerechtfertigt und akzeptiert werden.“ Und der Vorsitzende, Stanislaw Gadecki, sagte: „Diese Menschen sind in erster Linie unsere Brüder und Schwestern, für die Christus sein Leben gab und die er zur Erlösung führen will.“ Allerdings meinte er auch, dass der Respekt vor anderen Menschen nicht zur Annahme einer „Ideologie“ führen dürfe, die darauf abziele, die sozialen Bräuche und zwischenmenschlichen Beziehungen zu zerstören. Der Erzbischof von Krakau, Marek Jedraszewski, sprach dann in einer Predigt zum Gedenken des Warschauer Aufstandes, von der „neomarxistischen Seuche (...) in den Farben des Regenbogens“. Das wiederum brachte Kritiker auf die Straße und auch Überlebende des Aufstands protestierten gegen seine Wortwahl. Aber er legte noch nach: LGBTI-Rechte stünden für ein „antichristliches System voller Anti-Werte“, und er forderte die Ablehnung dieses „anthropologischen Fehlers in Form von sehr gefährlichen Gender- und LGBT-Ideologien“.2 Schützenhilfe erhielten die polnischen Bischöfe von Kollegen aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn.

Dem einzigen katholischen Priester, der öffentlich gegen die Wortwahl von Jedraszews-ki protestierte, wurde inzwischen ein Schweigegebot auferlegt. Für die katholischen LGBT-Gruppen bedeutet dies, dass sie in den nächsten Jahren ihren spirituellen Weg ohne die Begleitung durch Geistliche suchen müssen. Daher suchen sie dringend nach Möglichkeiten, Männer und Frauen auszubilden, die ihre LGBTI-Geschwister auf der Grundlage einer liberalen Theologie unterstützen können.

Auch wenn diese isolierte Lage der LGBTI-Personen in der katholischen Kirche zum Verzweifeln ist, ist die gesamtgesellschaftliche Situation nicht nur negativ. Es gibt jetzt die Partei „Frühling“, die von Robert Biedron, dem bekanntesten schwulen Politiker Polens geleitet wird und zum ersten Mal ein linksliberales politisches Programm vertritt. Es gab zahlreiche Demonstrationen gegen LGBT-feindliche Äußerungen von Bischöfen und Politikern. Der Hashtag „JestemLGBT“ (Ich bin LGBT) landete an erster Stelle der Twitter-Trends. Darin erzählen LGBT-Personen aus ihrem Alltag und bekennen sich zu ihrer Identität – Gesichter und Biographien gegen den Hass im Netz. Daraus 4 kurze Statements:

Arek: „Ich bin LGTB und will niemanden verändern, ich will glücklich in meinem Land leben."

Patrysia: „Ich bin bisexuell, ich bin genauso ein Mensch wie du, ich liebe genauso wie du, ich füge niemals einem Menschen Leid zu, ich bin katholisch, aber ich würde eine Beziehung mit einer Frau eingehen, ich finde, Gott liebt mich, so wie er mich erschaffen hat, auch wenn ich girl oder boy liebe."

Michał: „Ich arbeite in der Gastronomie und sorge dafür, dass eure Bäuchlein glücklich sind. Ich bin LGBT."

Marcel: „Ich bin LGBT und Fußballer, der für die nächsten fünf Jahre Tore für deine Mannschaft schießen wird. Wirst du mir dann ins Gesicht sagen, dass ich dein Feind bin? Ich habe den Mut, in Polen zu leben, weil das mein Zuhause ist. Ich bin keine Ideologie, ich will nur lieben und nicht jeden Tag Angst haben müssen."3

Das ist nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen, kreativen Formen des Widerstands gegen PiS und den katholischen Klerus. Er zeigt den klaren Willen, religiöse Abwertung und Einschüchterung nicht länger hinzunehmen.

2. Eine Skizze der Anti-Gender-Bewegung

Im Folgenden möchte ich in einer kurzen Skizze darlegen, wie sich die Anti-Gender-Bewegung in vier Phasen bzw. Ebenen entwickelt hat.

2.1. Die Erarbeitung des Anti-Gender-Diskurses

Die ideologischen Wurzeln der Anti-Gender-Bewegung finden sich im Vatikan. Vor der globalen UN-Konferenz von 1995 in Peking zur Situation von Frauen in Peking hat Papst Johannes Paul II. sein Botschafter aus der ganzen Welt zusammengerufen und instruiert, dass sie bei den Regierungen gegen internationale Programme zur Geburtenkontrolle und legale und sichere Möglichkeiten zur Abtreibung vorgehen. Dies wurde unter dem Stichwort „sexual and reproductive rights“ verhandelt. Dabei ergab sich auch ein diplomatisches Tauziehen darüber, ob und mit welcher Definition der Begriff „Gender“ in den Abschlussdokumenten auftaucht. Der Vatikan bestand darauf, dass es nur zwei Gender geben könne, nämlich männlich und weiblich. Dies wurde letztlich in einem Zusatzprotokoll festgehalten.

In Peking zirkulierte ein Text der amerikanischen Katholikin Dale O’Leary, in dem sie gegen den queeren Feminismus von Judith Butler zu Felde zog. Dieser Text wurde von einem peruanischen Weihbischof im Päpstlichen Rat für die Familien verbreitet und bildete die Grundlage für die ideologische Auseinandersetzung mit der Gendertheorie im Vatikan. Diese Phase fand ihren ersten Höhepunkt im „Familien Lexikon“, das ab 2005 in sieben verschiedenen Sprachen erschien. Die akademischen Gendertheorien werden darin vereinheitlicht und als „Gender-Ideologie“ diskreditiert. Zwei wichtige Figuren, die am Erscheinen dieses Lexikons beteiligt waren, waren der kolumbianische Kardinal Alfonso Lopez Trujillo, der als als Präfekt des Päpstlichen Rates für die Familie sein offizieller Herausgeber war, und der französische Priester und Psychoanalytiker Toni Anatrella. Auf sie werde ich im letzten Teil noch einmal zurückkommen.

2.2. Weltweite Verbreitung

Die mit dem Familien-Lexikon und verschiedenen Veröffentlichungen der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. umrissene Lehre des Vatikans zur Gendertheorie wurde in einer zweiten Phase weltweit verbreitet. Der Päpstliche Rat für die Familie veranstaltete verschiedene Konferenzen und seine Mitglieder zogen hinaus in die Welt, um überall die offizielle Sichtweise der katholischen Kirche auf „Gender“ zu verbreiten. Verschiedene Bischofskonferenzen, allen voran die aus den vier Visegrad-Staaten und Kroatien, veröffentlichten Hirtenworte gegen die „Gender-Ideologie“. Es gab Vorträge bei der afrikanischen Bischofskonferenz (SECAM) und in verschiedenen Ländern Mittel- und Südamerikas. In Italien wurde eine ganze Kaskade von Konferenzen organisiert, die bis auf die Ebene der Pfarrgemeinden hinunterreichte.

Übrigens war auch Jorge Bergoglio, der jetzige Papst Franziskus, Mitglied dieses Päpstlichen Rates für die Familie, was vielleicht seine bis heute bestehende reaktionäre Haltung in der Gender-Frage erklärt. Immerhin hat er den Rat für die Päpstliche Familie und damit die ideologische Brutstätte des Anti-Genderismus aufgelöst, aber andere Behörden haben den Staffelstab übernommen. Zuletzt hat die Kongregation für das katholische Bildungswesen die Auseinandersetzung mit der Gendertheorie in dem Text „Männlich und weiblich schuf er sie“ weitergeführt. Darin wird so getan, als ob die Verfasser einen intensiven Dialog mit Vertreter_innen der Gendertheorie geführt hätten, doch zitieren sie ausschließlich vatikanische Texte. Abgesehen vom kläglichen wissenschaftlichen Diskussionsniveau ist bedrückend, dass dort auch erstmalig ausführlicher zu Trans*- und Inter-Personen Stellung bezogen wird. So wird zum Beispiel verlangt, dass an intersexuellen Kindern geschlechtszuweisende Operationen durchgeführt werden sollen, damit die körperliche Zweigeschlechtlichkeit in der Gesellschaft aufrechterhalten wird. Nach dem aktuellen Diskussionsstand stellt dies eine Menschenrechtsverletzung dar, da die körperliche Integrität ohne medizinischen Grund beschädigt wird. Transgeschlechtlichkeit wird in der konservativen katholischen Diskussion mit zwei Argumenten abgewehrt: Erstens wird immer wieder behauptet, dass dem die Vorstellung zugrunde läge, dass man sein Gender jeden Tag wechseln könne. Auch wenn es Menschen gibt, die sich selbst als gender-fluid empfinden, geht dies am Kern des Selbstempfindens der meisten Trans-Personen völlig vorbei. Diese Fehlinterpretation von Judith Butlers Aussagen über die Performativität des Geschlechts, wonach Gender etwas ist, das im alltäglichen Leben dargestellt werden muss und dessen Spielräume daher immer wieder neu ausgehandelt und verschoben werden können, muss daher zurückgewiesen werden. Das zweite Argument gegen Transsexualität besteht im Vorwurf der Gnosis. Die Gnosis war im 2. und 3. Jh. n. Chr. eine Richtung des Christentums, die schnell als Häresie abgelehnt wurde. Einige Strömungen der Gnosis lehnten die Materie und damit auch den Körper als unvollkommene Schöpfung eines entweder bösen oder dummen Schöpfergottes ab und suchten Erlösung in der geistigen Erkenntnis des wahren Gottes hinter dem Schöpfergott. Die gnostische Spaltung zwischen Körper und Geist wird nun auf Trans-Personen projiziert, ohne zu bemerken, dass ihre Zurückweisung des mit der Geburt gegebenen Geschlechtskörpers aufgrund der Geschlechtsidentität und -empfindens nicht das Gleiche ist wie die Zurückweisung des Körpers überhaupt oder gar der Materie. Außerdem ist sie nicht mit der Vorstellung eines separaten Schöpfergottes verknüpft.

2.3. Übergang vom Diskurs zur Bewegung

In der dritten Phase wurde aus dem ideologischen Anti-Genderismus des Vatikans die Anti-Gender-Bewegung, der es gelang, Massenproteste gegen die Sexualerziehung von Kindern und gegen die Ehe für alle auf die Straße zu tragen. Während 2004 der Versuch von Kardinal Lopez Trujillo, den Begriff „Gender-Ideologie“ nach Spanien zu tragen, um dort gegen die Ehe-Öffnung zu mobilisieren, noch erfolglos blieb, war es 2012/13 in Frankreich völlig anders. Das Netzwerk „La Manif pour Tous“ konnte bis zu einer Million Menschen auf die Straße bringen und mehrfach riesige Massenkundgebungen abhalten. Die katholischen Bischöfe blieb dabei etwas im Hintergrund, unterstützten aber eindeutig das inhaltliche Anliegen und mobilisierten die Gläubigen, die von den Gemeinden in Bussen zu den Demos gefahren wurden. Getragen wurde La Manif pour Tous vor allem von Abtreibungsgegnern und konservativ-katholischen Familienorganisationen, was auch für viele andere Länder typisch ist. Zum Schein wurden neue Organisationen gegründet, die ein breiteres gesellschaftliches Spektrum vorgaukeln sollten.

Für unsere Freund_innen von David & Jonathan war das eine verheerende Erfahrung, denn sie standen weitgehend isoliert einer geschlossenen Front von katholischen Bischöfen gegenüber. Auch andere Kirchen und religiöse Organisationen, wie z.B. die Muslime und der Oberrabbiner, unterstützten die die Anti-Gender-Bewegung in Frankreich. Inzwischen hatte die vom Vatikan gesäte Idee von einer „Gender-Ideologie“ auch hier Wurzeln geschlagen und ist übernommen worden. Zu dieser Phase der größten Erfolge der Anti-Gender-Bewegung gehören auch zwei Volksabstimmungen in Kroatien und Slowenien, bei denen in der Verfassung festgeschrieben wurde, dass eine Ehe nur von einem Mann und einer Frau gebildet werden kann. In der Slowakei und Rumänien sind diese Versuche dagegen gescheitert.

2.4. Die Verschmelzung mit dem Rechtspopulismus

Momentan befinden wir uns in einer vierten Phase: der Verschmelzung der Anti-Gender-Bewegung mit dem Rechtspopulismus. In vielen Ländern der Welt ist in den letzten Jahren ein Aufschwung des Rechtspopulismus mit neuen politischen Parteien und neuen politischen Führern zu verzeichnen. Diese Parteien haben den Anti-Genderismus schon bei ihrer Entstehung in ihre politischen Programme aufgenommen. Die AfD ist dabei nur ein Beispiel für viele andere rechtspopulistische Parteien, die ihre süffisante Polemik nun auch von den Parlamenten aus in die Öffentlichkeit tragen können. Zugleich haben sich über 50 rechte NGOs in Europa zu einem geheimen Bündnis zusammengeschlossen und eine „Agenda for Europe“ entwickelt, die nichts anderes zum Ziel hat, als alle gesellschaftspolitischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte auf den Stand der 1950er Jahre zurückzuschrauben. Ein strategisches Zwischenziel auf dem Weg zu diesem Ziel ist die Kürzung der finanziellen Mittel für LGBTIQ-Organisationen auf der Ebene der EU, was vor allem ILGA-Europe treffen würde.

In Deutschland hat die Anti-Gender-Bewegung einen etwas untypischen Verlauf genommen. Ausgelöst durch einige Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wurde die Kritik am Gender-Begriff zunächst als Ablehnung des „Gender-Mainstreaming“ aufgefasst − ein Thema, das in anderen Ländern eher hinter der Homo-Ehe und der Sexualerziehung in Schulen zurückblieb. Zum anderen trat in Deutschland nicht die katholische Kirche in den Vordergrund, weil der Anti-Genderismus in der DBK nur wenige Unterstützter wie die Bischöfe Voderholzer oder Algermissen fand. Das Gleiche gilt für die katholischen Familienverbände, die eine LGBT-freundliche Position vertreten. Auch die katholischen und evangelischen Frauenverbände haben sich sehr klar gegen die Anti-Gender-Bewegung positioniert. So blieben hierzulande nur konservative Evangelikale, das Forum deutscher Katholiken und die klassischen Abtreibungsgegner_innen als Träger der „Demo für alle“ übrig. Zu wenig für eine Massenmobilisierung, aber doch genug, um in Bayern das Unterrichtsziel der Sexualerziehung von Akzeptanz zu bloßer Toleranz von LGBTI-Personen herunterzuhandeln und in Baden-Württemberg eine Revision des ursprünglich geplanten Gesetzes zu erreichen. Ich denke, dass die für uns eher günstige Konstellation in den Kirchen auch das Ergebnis unserer erfolgreichen Arbeit in Synoden und auf Kirchen- und Katholikentagen darstellt, aber sicher auch das Produkt der langjährigen Arbeit an theologischen Fakultäten zu feministischer Theologie und zu Gender als einer Kategorie der theologischen Forschung ist.

Inzwischen ist der Anti-Genderismus in Deutschland politisch weitgehend von der AfD aufgesogen worden. Beatrix von Storch hat die Unterstützung durch die Anti-Genderisten quasi als Erbmasse in ihre politische Parteikarriere eingebracht und es damit bis zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gebracht. Daneben versucht sich in der CDU die „Werte-Union“ als Plattform für sehr Konservative zu etablieren, ohne bislang jedoch großen politischen Einfluss zu haben. Hedwig von Beverfoerde, die Macher_in hinter der „Demo für alle“, hält zwar Kontakte zu beiden Seiten, hat aber durch ihren Austritt aus der CDU die strategische Option einer möglichen Koalition zwischen AfD und CDU nicht gerade befördert.

3. Die Herausforderung durch den Rechtspopulismus

Die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch beschreibt in ihrem Buch „Die Gesellschaft des Zorns“ den Rechtspopulismus als einen „kollektiven emotionalen Reflex“ gegen die Veränderungen, die durch Globalisierung und Transnationalisierungsprozesse ausgelöst worden sind. Abstiegs- und Verlustängste führen zu einem „Bündnis der Betrogenen“, das sich aus allen Klassen der Gesellschaft zusammensetzt: Ober-, Mittel- und Unterschicht. Diese emotionalen Reflexe zeigen sich laut Koppetsch in drei Dimensionen: Die Re-Nationalisierung versucht das Volk wieder zum symbolischen Zentrum unseres Denkens zu machen. Die Re-Souveränisierung bedeutet, dass Konservative danach streben, ihre verlorene kulturelle Orientierung und Vorherrschaft zurückzugewinnen. Die Re-Vergemeinschaftung stellt die kollektive Zugehörigkeit, die soziale Anerkennung vermittelt, gegen die Individualisierung und allgegenwärtige Erfahrungen von Konkurrenz.

Der Rechtspopulismus ist nach Koppetsch weiterhin durch eine „Kultur der Angst“ geprägt, die unspezifische Bedrohungen (er-)findet, die von außen wirken. Man könnte auch von einer paranoiden psychischen Struktur sprechen, die überall Verschwörungen unterstellt und Gefahren wittert. Vergewaltigungen von deutschen Frauen durch Geflüchtete waren schon ein kollektives Phantasma - zumindest unter Rechtspopulisten und dafür Empfängliche -, bevor sie in Köln und anderswo zur Realität geworden sind. Den Verfechter_innen der Gendertheorie wird unterstellt, dass sie ihre Vorstellungen auf eine „totalitäre“ Weise mittels internationaler Organisationen wie den UN oder der EU durchsetzen wollten. Die logische Antwort auf die „Kultur der Angst“ vor Bedrohungen von außen ist die „Kultur der Schließung“. Es müssen Mauern errichtet und Grenzen dicht gemacht werden, um all diese gefühlten Bedrohungen draußen zu halten.

Mit großer Hartnäckigkeit ist es den Rechtspopulisten gelungen, die lange unhinterfragte Hegemonie des doppelten Liberalismus infrage zu stellen. Wenn Koppetsch vom doppelten Liberalismus spricht, dann meint sie die Verknüpfung des wirtschaftspolitischen Neoliberalismus mit einem gesellschaftspolitischen Linksliberalismus, von dem vor allem wir als LGBTIQ-Personen der akademisch gebildeten, urbanen Mittelschicht in den letzten Jahren profitiert haben, nicht jedoch Industriearbeiter_innen und prekär Beschäftigte und nicht diejenigen, die auf dem Land leben.

Diese Kritik sollte auch uns hier herausfordern: Wir haben die „Vielfalt“ nicht gepachtet und könnten „mehr Vielfalt wagen“ – über den Horizont von Lesben und Schwulen der urbanen Mittelklasse hinaus. Dabei ist es wichtig, dass wir nicht einfach der neoliberalen Wirtschaftspolitik das Feld und die Menschen sich selbst überlassen, sondern uns für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, in der nicht nur jede_r Freiheitsrechte besitzt, sondern auch soziale und wirtschaftliche Sicherheit.

4. Unschwule Homophobiker

Zum Schluss möchte ich auch noch einen Blick auf die katholische Kirche werfen. Das Buch „Sodom“ des französischen Journalisten und Soziologen Frédéric Martel über homosexuelle Kleriker im Vatikan hat in den letzten Wochen für große Aufmerksamkeit gesorgt. Seine These ist nicht nur, dass die Mitarbeiter im Vatikan überwiegend homosexuell veranlagt sind, sondern dass die kollektive Geheimhaltung dieses Umstands der entscheidende Schlüssel für das Verständnis der Strukturen des Vatikans sei. Er bringt viele Beispiele dafür: die Anzahl derer, die im Vatikan bei Grindr eingeloggt sind, oder Priester, die Sex mit Strichern haben oder an schwulen Sexparties teilnahmen. Er folgt den Spuren der homoerotischen Ästhetik in Kleidung, Kunstgeschmack und bei der Auswahl der Mitarbeiter.

Martel zeichnet die Geschichte des Umgangs der vier jüngsten Päpste mit diesem strukturellen Problem nach. Vor allem Johannes Paul II. hat demzufolge mächtigen Prälaten große Spielräume gelassen, sofern sie als stramme Antikommunisten und Gegner der Befreiungstheologie in Erscheinung traten.

Der übelste Schurke in seinem Buch ist Kardinal López Trujillo. Martel enthüllt, dass der Kolumbianer sich bei Visitationen in Gemeinden in seinem Bistum Medellin von seinen Assistenten immer gutaussehende, junge Messdiener hat zuführen lassen, mit denen er dann sexuell verkehrt hat. Als dies bekannt zu werden drohte, verließ er Kolumbien für immer und ließ sich im Vatikan nieder. Dort ließ er seiner sadistischen Ader im Umgang mit Strichern freien Lauf, die er nach dem Sex gerne verprügelte. Darüber hinaus war er auf grobe Weise misogyn.

Als Präfekt des Päpstlichen Rates für die Familie war Lopez Trujillo verantwortlich für die Ausbuchstabierung des weltweiten, katholischen Anti-Genderismus und er war ein erklärter Feind der Homo-Ehe. Wie sollen wir mit so einer Persönlichkeit umgehen? Wie benennen wir diese homosexuell orientierten Persönlichkeiten, die diese sexuelle Orientierung nicht nur gegen sich selbst wenden, sondern vor allem gegen alle anderen LGSBT-Personen. Müssen wir im Nachhinein anerkennen, dass er „eigentlich“ schwul war und ein Opfer von verinnerlichter Homophobie? Können wir es zulassen, dass „wir“ nach dieser Enthüllung von der Seite der Opfer auf die Seite der Täter rücken?

Ein zweites Beispiel für dieses Problem ist der französische Priester Toni Anatrella. Er war der Wortführer der Gegner der Homo-Ehe. In seinen theologischen und psychoanalytischen Publikationen hat er immer wieder behauptet, dass Homosexuelle moralisch nicht integer sein können. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er damit nur sich selbst beschrieben hat, denn er hat in seinen Therapiesitzungen mehrere männliche Klienten manipuliert und zu sexuellen Handlungen mit ihm gedrängt.

Zwei Architekten des katholischen Anti-Genderismus, so können wir schlussfolgern, haben einen gigantischen diskursiven Apparat erschaffen, damit sie ihre eigene sexuelle Identität nicht wahrnehmen und als Teil ihres Selbst wahrhaben müssen. Sie haben einen Popanz in die Welt gesetzt, der anderen Angst machen soll, damit sie nicht genauer nachfragen. Den katholischen Anti-Genderismus muss man daher als ein riesiges Ablenkungsmanöver verstehen, das verhindern soll, dass nach der homosexuellen Wirklichkeit des katholischen Klerus gefragt wird.

Solange wir keine Begrifflichkeit für derartige Persönlichkeiten haben, bei denen sich die sexuelle Orientierung entweder gegen sich selbst richtet oder gegen andere LGSBTI-Personen richtet, fallen sie immer wieder uns auf die Füße. Um das in Zukunft zu verhindern, möchte ich vorschlagen, sie als „unschwul“ oder „unschwule Homophobiker“ zu bezeichnen. Homophobie kann sehr viele verschiedene psychische und soziale Ursachen haben und es ist keine Neuigkeit, dass eine typische Ursache dafür die Verdrängung eigener homosexueller Wünsche und Neigungen darstellt. Unschwule Homophobiker finden wohl nirgends ein für sie derartig günstiges Biotop wie im Vatikan und im männerbündischen Klerus überhaupt. Sie erhalten Macht über Gläubige, deren Sexualität sie kontrollieren und demütigen können.

Es ist höchste Zeit, dass wir dieses bleischwere Joch von uns abschütteln. Der synodale Weg in Deutschland kann ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg sein, wenn er es schafft, die in diesem Sinne unschwule Klerikerherrschaft in der Kirche zu beenden und religiöse Macht zu teilen − nicht zuletzt mit Priesterinnen, wie Maria 2.0 es fordert.