Es ist bekannt, dass der angesehene amerikanische psychiatrische Fachverband APA (American Psychiatric Association) im Jahr 1973 HomosexualitĂ€t aus seiner Liste der psychischen Krankheiten gestrichen hat. Von interessierten Kreisen wird in den letzten Jahren (2005–2007) zunehmend die Auffassung verbreitet, dies sei doch eigentlich keine fachlich fundierte Entscheidung gewesen, die Entscheidung sei nur auf politischen Druck interessierter Kreise (politisch links, liberal, 68er-Nachfolger, oder wie man es nennen mag), erfolgt. Diese Auffassung wird etwa außer durch das „Deutsche Institut fĂŒr Jugend und Gesellschaft” und dessen Leiterin Christl Vonholdt auch von prominenten evangelikalen Predigern wie Ulrich Parzany aufgegriffen und vertreten.

Die im Folgenden wiedergegebene ausfĂŒhrliche Stellungnahme des Aufsichtsrats („Board of Trustees”) der APA aus dem Jahr 2000 (27 Jahre nach der ursprĂŒnglichen Entscheidung) zeigt, dass diese Entscheidung des großen amerikanischen Fachverbands keineswegs eine politisch erzwungene Augenblicksentscheidung war.

Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (American Psychiatric Association), Kommission zu Psychotherapie durch Psychiater (COPP)
Positionspapier zu Therapien, die sich auf Versuche konzentrieren, die sexuelle Orientierung zu Àndern (Reparative oder Konversions-Therapien)

PrÀambel

Im Dezember 1998 hat der Aufsichtsrat (Board of Trustees) ein Positionspapier herausgegeben [mit dem Inhalt], dass die amerikanische psychiatrische Gesellschaft sich gegen jede psychiatrische Behandlung wendet, wie [zum Beispiel] „reparative” oder Konversionstherapien, die auf der Annahme basiert, dass HomosexualitĂ€t an sich eine geistige Verwirrung darstellt ist oder die auf der vorab zugrunde gelegten Annahme beruht, dass ein Patient / eine Patientin seine/ihre homosexuelle Orientierung Ă€ndern sollte. Damit hat die APA sich vielen anderen FachverbĂ€nden angeschlossen, die „reparative” Therapien ablehnen oder kritisieren, unter anderen die Amerikanische Akademie der KinderĂ€rzte (American Academy of Psychiatricas), die Amerikanische Medizinische Vereinigung (American Medical Association), die Amerikanische Psychologische Vereinigung (American Psychological Association), die Amerikanische Vereinigung von Beratern (American Counceling Assiciation), und die Nationale Vereinigung von Sozialarbeitern (National Association of Social Workers).

Die folgende PositionserklÀrung entfaltet und erlÀutert die ErklÀrung, die vom Aufsichtsrat abgegeben wurde, um sich mit Bedenken aus dem allgemeinen Publikum und der Fachwelt zu befassen, wenn es um Therapien geht, die entworfen wurden, um die sexuelle Orientierung oder die sexuelle IdentitÀt eines Patienten zu verÀndern. Sie ersetzt die ErklÀrung von 1998 nicht, sondern ergÀnzt sie eher.

PositionserklÀrung

In der Vergangenheit stĂŒtzte die Definition von HomosexualitĂ€t als Krankheit die gesellschaftliche Missbilligung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Im gegenwĂ€rtigen sozialen Klima kommt die Behauptung, dass HomosexualitĂ€t eine mentale Normabweichung sei, von Anstrengungen her, die wachsende soziale Anerkennung der HomosexualitĂ€t in der Gesellschaft als eine normale Variante menschlicher SexualitĂ€t zu diskreditieren. Dementsprechend ist die Frage nach einer Änderung der sexuellen Orientierung eine hochpolitische Sache geworden. Die Integration von Schwulen und Lesben in die amerikanische Normalbevölkerung wird von denen bekĂ€mpft, die fĂŒrchten, eine solche Integration sei moralisch falsch, und sie sei schĂ€dlich fĂŒr das soziale Gewebe [der Gesellschaft]. Die politische und moralische Debatte um die Sache hat die wissenschaftlichen Daten verdunkelt, indem sie die Motive und sogar den Charakter von Einzelpersonen auf beiden Seiten in Frage stellte. Dieses Dokument versucht, Licht in die ĂŒberhitzt diskutierte Frage zu bringen.

Die GĂŒltigkeit, Wirksamkeit und ethische WĂŒnschbarkeit von klinischen Versuchen, die sexuelle Orientierung einer einzelnen Person zu Ă€ndern, ist in Frage gestellt worden. Derzeit gibt es keine wissenschaftlich bewiesenen Ergebnisstudien, die die wirkliche Wirksamkeit oder SchĂ€dlichkeit von reparativen Behandlungen bestimmen ließen. Es gibt nur vereinzelt wissenschaftliche Daten zu Auswahlkriterien, Risiko gegenĂŒber Nutzen der Behandlung, und langfristige Auswirkungen von reparativen Therapien. Die Fachliteratur besteht aus Einzelberichten von einzelnen Personen, die behaupten, eine Änderung erfahren zu haben, von Personen, die behaupten, Änderungsversuche seien fĂŒr sie schĂ€dlich gewesen, und anderen, die [zunĂ€chst] behaupteten, sich geĂ€ndert zu haben, und die spĂ€ter solche Behauptungen widerrufen haben.

Obwohl nur wenige Daten ĂŒber Patienten vorliegen, ist es doch möglich, die Theorien auszuwerten, auf deren Grundlage die DurchfĂŒhrung von „reparativen” oder Konversions-Therapien erfolgt. Als erstes widersprechen sie der wissenschaftlichen Position der Amerikanischen Psychiatrie-Vereinigung (American Psychiatric Association), die seit 1973 gesagt hat, dass HomosexualitĂ€t an sich keine geistige Störung ist. Die Theorien der „reparativen” Therapie definieren HomosexualitĂ€t als Stehenbleiben auf einer frĂŒhen Entwicklungsstufe, eine ernste Form einer Psychopathologie, oder eine irgendwie geartete Kombination von beidem. In den letzten Jahren haben bekannte Praktiker der „reparativen” Therapie offen Ă€ltere psychoanalytische Theorien, die HomosexualitĂ€t als Krankheit auffassen, mit traditionellen religiösen Glaubensvorstellungen, die die HomosexualitĂ€t verurteilen, verbunden.

Die Ă€ltesten wissenschaftlichen Kritiken der frĂŒhen Theorien und religiösen Glaubensvorstellungen zu „reparativen” oder Konversions-Therapien kamen von sexualwissenschaftlichen Forschern. SpĂ€ter gab es auch Kritik aus psychoanalytischen Quellen. Es gibt auch eine zunehmende Menge von religiöser Literatur, die gegen traditionelle biblische Interpretationen argumentiert, die den religiösen Richtungen der „reparativen” Therapien zugrunde liegen.

Empfehlungen

  1. APA bekrĂ€ftigt seine Position von 1973, dass HomosexualitĂ€t an sich keine diagnostizierbare Geistesstörung ist. Neuere Publikationen, die HomosexualitĂ€t wieder zur Krankheit erklĂ€ren wollen, indem sie behaupten, sie könne geheilt werden, sind oft nicht von ernsthafter wissenschaftlicher oder psychiatrischer Forschung motiviert, manchmal von religiösen oder politischen KrĂ€ften, die sich gegen volle BĂŒrgerrechte fĂŒr Schwule und Lesben richten. APA empfiehlt, dass die APA schnell und in sachkundiger Weise als eine wissenschaftliche Vereinigung reagiert, wenn von politischen oder religiösen Gruppen behauptet wird, HomosexualitĂ€t sei eine heilbare Krankheit.
  2. Als allgemeines Prinzip sollte der Therapeut nicht das Ziel der Behandlung durch Zwang oder subtile Einflussnahme bestimmen. Psychotherapeutische Maßnahmen, um HomosexualitĂ€t umzukehren oder zu „reparieren”, sind auf Entwicklungstheorien gegrĂŒndet, deren wissenschaftliche GĂŒltigkeit fraglich ist. Außerdem stehen Einzelberichten ĂŒber „Heilungen” andere Einzelberichte ĂŒber seelische SchĂ€digungen gegenĂŒber. In den letzten vierzig Jahren haben „reparative” Therapeuten keine streng wissenschaftlichen Forschungsergebnisse produziert, die ihre Behauptungen von Heilungserfolgen untermauern. Bis es solche wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse gibt, empfiehlt die APA ethisch verantwortlichen Praktikern, von Versuchen, die sexuelle Orientierung einzelner Personen zu Ă€ndern, Abstand zu nehmen, in Befolgung des medizinischen Prinzips „ZunĂ€chst einmal, tue nichts, was schĂ€dlich ist”.
  3. Die Fachliteratur zur „reparativen” Therapie macht es schwierig, wissenschaftlich fundierte Auswahlkriterien fĂŒr ihren Behandlungsmodus zu formulieren. Diese Literatur ignoriert nicht nur, wie viel ein soziales Stigma Anstrengungen motivieren kann, sich von HomosexualitĂ€t heilen zu lassen, es ist Literatur, die selbst aktiv HomosexualitĂ€t stigmatisiert. „Reparative” Therapie tendiert auch dazu, Behandlungserfolge ĂŒberzubetonen, wĂ€hrend mögliche Risiken fĂŒr die Patienten vernachlĂ€ssigt werden. APA ermutigt und unterstĂŒtzt Forschung innerhalb des NIMH (National Institute for Mental Health = Nationales Amt fĂŒr Seelische Gesundheit) und der Welt der akademischen Forschung, um weitere AufschlĂŒsse ĂŒber „reparative” Therapien zu erhalten: Risiken einerseits, Nutzen andererseits.

Quelle:

Sexual Conversion Therapy. Ethical, Clinical and Research Perspectives. Ariel Shidlo, Michael Schroeder, Jack Drescher (Hrsg.). The Haworth Medical Press, New York usw. 2001, S. 204–208 (Anhang 2 zum Aufsatz von Jack Drescher: Ethical Concerns Raised When Patients Seek to Change Same-Sex Attractions). Die umfangreiche Literaturliste der amerikanischen Originalveröffentlichung (46 Literaturverweise) ist hier nicht wiedergegeben.

Übersetzung: Reinhold Weicker