Bericht von Tagungen der BASG (Bundesarbeitsgemeinschaft von Schwulen im Gesundheitswesen e.V.) im Mai und September 2005.

Das Thema der BASG-Tagungen (Schwule im Gesundheitswesen e.V.) im April und September 2005 waren die AktivitĂ€ten von christlich-fundamentalistischen Initiativen, die „Umorientierungstherapien” fĂŒr homosexuelle Menschen propagieren und durchfĂŒhren. Zentral waren die VortrĂ€ge von Dipl. Psych. T. Heinrich und Prof. Dr. U. Rauchfleisch, die mit detaillierten Kenntnissen in die Arbeitsweise dieser Organisationen einfĂŒhrten.

Das erklĂ€rte Ziel von „wuǝstenstrom” und den „Offensive junger Christen” ist es, Schwule, Lesben und vor allem solche Menschen, die sich im oder vor ihrem Coming Out befinden, weg von ihrer HomosexualitĂ€t hin zum „Segen Gottes” in die HeterosexualitĂ€t zu fĂŒhren. Dabei verwenden sie geschickt psychotherapeutischen Jargon ohne ĂŒber eine fundierte psychotherapeutische Ausbildung der anerkannten Fachgesellschaften zu verfĂŒgen und sind oft erst auf den zweiten Blick als schwulen- und lesbenfeindlich zu enttarnen.

Deutlich wurde die zunĂ€chst „einfĂŒhlsame” Vorgehensweise der Fundamentalisten, welche die potentiellen Klienten da abholt, wo sie sich befinden: In dem immer wieder konflikthaften und spannungsreichen Prozess des Coming Out. Hier wird eine „saubere” Lösung angeboten: Weg mit der Verirrung des Schwulseins und glĂŒcklich mit Frau und Kindern heterosexuell leben. Die Regeln der Umorientierungsprogramme sind einfach: Von Homosexuellen fernhalten. Homosexuelles Verlangen geheim halten und nicht ausleben. „Echte” MĂ€nnerfreundschaften pflegen. Heiraten und Kinder zeugen. Die Gruppen bieten nach innen emotionalen Halt, die Bindungen nach außen werden gelockert. Dies geschieht auch durch eine differente Konnotation der verwendeten Sprache, welche die AbhĂ€ngigkeit nach innen zusĂ€tzlich verstĂ€rkt und den Kontakt nach Außen erschwert.

Kann es denn nicht gelingen, heterosexuell zu werden? Zeigt denn nicht auch die in diesem Zusammenhang hĂ€ufig zitierte (einzige) Studie des berĂŒhmten Professors fĂŒr Psychiatrie Robert Spitzer, dass dies möglich ist? Finden sich denn nicht immer wieder Fallberichte von geglĂŒckten Umorientierungstherapien, die mit der Zeugung von Kindern enden? Der erfĂŒllte Kinderwunsch als Garant fĂŒr ein glĂŒckliches heterosexuelles Eheleben. Wenn das kein ĂŒberzeugender Therapieendpunkt ist?

Das ist er nicht. Das ist er solange nicht, wie sich verzweifelte Menschen in solchen Therapien umbringen. Das ist er solange nicht, wie die Opfer solcher vermeintlichen Therapien in Beratungsstellen schwer traumatisiert und oft nach langem RĂŒckzug auftauchen, kaum fĂ€hig, sich erneut einem therapeutischen Prozess zu öffnen. Das ist er solange nicht, wie kein offener therapeutischer Prozess angestrebt wird, sondern das Therapieziel schon vor dem ErstgesprĂ€ch ideologisch gefĂ€rbt feststeht.

Es bleibt ethisch unvertretbar, wenn sich so genannte Therapeuten mit manifesten antihomosexuellen Vorurteilen das Vertrauen ihrer Klienten erschleichen und aufgrund ihrer Vorannahmen unfĂ€hig sind, mit diesen in einen offenen therapeutischen Dialog einzutreten. Es stellt sich die Frage, was diese Therapeuten an der HomosexualitĂ€t so reizt, dass sie ihr Unwesen zum Schaden der Patienten treiben. Warum mĂŒssen sie die HomosexualitĂ€t so grĂŒndlich austreiben?

Noch ein Wort zu der in diesem Ideologiezusammenhang oft zitierten Studie Robert Spitzers. Besonderes Gewicht hat die Studie aus Sicht der Fundamentalisten, da gerade Spitzer im Rahmen der Entpathologisierungsdebatte vor 30 Jahren sich fĂŒr die NormalitĂ€t der HomosexualitĂ€t einsetzte. Nun sollte man die Studie einfach einmal lesen, denn sie stĂŒtzt die These, dass HomosexualitĂ€t „heilbar” sei, ironischerweise gerade nicht, sondern belegt eher einmal mehr, wie prekĂ€r das Unterfangen ist: Die Verwendung der Studie gerade von christlichen Fundamentalisten ist bezeichnend, da die 200 Studienteilnehmer ĂŒberwiegend durch christlich-fundamentalistische Seelsorge und „Therapie” ihre „Heilung” erfuhren und ausgerechnet durch diese „Therapeuten” und Organisationen der Studie zugewiesen wurden.

Befragt wurde ausschließlich eine „Erfolgsgruppe”, das heißt Menschen, die von sich angaben erfolgreich therapiert worden zu sein. So wurden 74 Probanden nach der Vorauswahl aus der Studie herausgenommen, da keine VerĂ€nderung stattgefunden hatte. Das Studiendesign ist daher a priori ungeeignet, Aussagen zur EffektivitĂ€t von Umorientierungsversuchen bei Homosexuellen zu treffen.

Weitere methodische Probleme liegen in dem nicht ausreichenden Zeitrahmen der Befragung (112 Fragen in 45-minĂŒtigen Telefoninterviews), sowie in der retrospektiven EinschĂ€tzung der HomosexualitĂ€t vor der Umorientierung (mindestens 5 Jahre, im Durchschnitt 12 Jahre zwischen Therapiebeginn und Studienteilnahme), da valide Aussagen mittels Selfreports nach dieser Zeit nicht mehr möglich sind. 21% der Befragten waren bei Studienteilnahme noch im Umorientierungsprogramm. SchĂ€den der Umorientierungsprogramme wurden unzureichend erfasst. Die Fragen sowie das VerĂ€nderungsausmaß sind nicht operationalisiert. Die Daten sind bisher nur unvollstĂ€ndig publiziert.

Die Studie erweist sich zur StĂŒtzung der These, dass HomosexualitĂ€t verĂ€nderbar sei, als ausgesprochen ungeeignet: Als „extrem homosexuell” wurden von Spitzer nur 23% (33 von 143) der MĂ€nner und nur 9% der Frauen (5 von 57) eingestuft. Unter den „erfolgreich VerĂ€nderten” hatten immer noch 71% der MĂ€nner und 37% der Frauen „homosexuelle Merkmale" (lustvolle Gedanken in TagtrĂ€umen, bei Selbstbefriedigung oder Sexualkontakten), die auf der Skala von Spitzer bei mehr als „gelegentlich” oder „gering” lagen. Als „ausschließlich heterosexuell” bezeichneten sich nur 17% der MĂ€nner und 55% der Frauen. R. Spitzer schließt selbst, dass allenfalls das Verhalten geĂ€ndert werden kann, nicht die sexuelle Orientierung des Menschen.

Die Stellungnahme der BASG ist daher eindeutig: Unsere Sorge gilt MĂ€nnern und Frauen, die sich im immer wieder auch schwierigen und belastenden Prozess des Coming Out Rat suchend an solche Organisationen wenden. Es ist davon auszugehen, dass sich Institutionen mit eindeutig definiertem „Therapie-Ziel” nicht um ein Verstehen der Konflikte scheren, sondern entsprechend ihrem ideologischen Hintergrund das Therapieziel festlegen und die „Therapie” exekutieren, die sie anbieten.

Es ist ethisch nicht statthaft, dass eine solchermaßen ideologisch gefĂ€rbte „Therapie” sich der Homosexuellen zu bemĂ€chtigen sucht, um ihnen in der krisenhaften Situation des Coming Out vorschnell eine vermeintliche „heterosexuelle Lösung” anzubieten. Die Spannungen im Selbsterleben, in der Peergroup und innerhalb des sozialen Umfeldes können in dieser Phase fĂŒr den Einzelnen ohnehin schon unertrĂ€glich sein. Die Umorientierungsprogramme bieten in dieser Krisensituation keinen Schutz, um eine eigene Entwicklung zu ermöglichen, sondern nutzen die Schutzlosigkeit fĂŒr ihre Zwecke aus. Das Argument, dass die Klienten die Therapie oft selbst wĂŒnschen, ist kein unabweisbares Argument, da ĂŒberhaupt nicht versucht wird, in einem offenen therapeutischen Prozess eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Wie sollte dies auch gelingen, da sich die Organisationen selbst zu ihrer antihomosexuellen Haltung bekennen?

Wesentlich ist, den Wunsch, eine konflikthaft erlebte HomosexualitĂ€t los zu werden, ernst zu nehmen und den vom Klienten vorgetragenen Therapiewunsch zu reflektieren. Wie jedes andere Therapiebegehren, kann auch der Wunsch, nicht mehr homosexuell zu sein, nicht unkritisch antizipiert werden und in eine Wunschtherapie mĂŒnden. Dies ist selbstverstĂ€ndliche psychotherapeutische Technik. Dass Institutionen, welche mit der Umorientierung zur HeterosexualitĂ€t werben, ihr Begehren auch nur im Ansatz mit den Klienten neutral abwĂ€gen könnten, ist auszuschließen.

Es ist ein Anliegen der BASG, ĂŒber solche „Therapie” aufzuklĂ€ren, Homosexuelle in ihrem Coming Out Prozess zu stĂŒtzen und ihnen zu ermöglichen, den ihnen entsprechenden Weg zu finden. Konflikthafte homosexuelle Entwicklung bedarf keiner ideologisch gefĂ€rbten, vorschnellen Heilsversprechen, sondern an fachlichen Standards orientierter, seriöser psychotherapeutischer Begleitung.

Dr. med. R. Gebhardt
Vorstandsmitglied
Schwule im Gesundheitswesen e.V. - BASG
http://www.basg.de

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Robert L. Spitzer
„Can Some Gay Men and Lesbians Change Their Sexual Orientation? 200 Participants Reporting a Change from Homosexual to Heterosexual Orientation”.
Presentation at the American Psychiatric Association Annual Convention. New Orleans, May 9, 2001. Subsequently published in Archives of Sexual Behavior, 32(5), 403–417, October 2003.