Von Reinhold Weicker, Paderborn
Als ich meinen Eltern davon erzĂ€hlte, dass ich homosexuell sei (etwas, was man meist als âComingâOutâ bezeichnet), war ihre Reaktion unter anderem âBildest Du Dir das nicht bloĂ ein? Kann man da nicht etwas tun? Hast Du denn mit einem Fachmann darĂŒber gesprochen?â. Ein Fachmann â das war wohl in ihren Augen ein Arzt oder Therapeut, und tatsĂ€chlich sprach ich, mehr ihnen als mir zuliebe, mit einem Fachmann beim damaligen Institut fĂŒr Sexualwissenschaften einer groĂen UniversitĂ€t. Das erste, was er mir auf die Frage âBin ich homosexuell?â sagte, war ein erstauntes âAber das mĂŒssen Sie doch selbst wissen und spĂŒrenâ. Als er dann noch sagte, dass trotz aller unterschiedlichen Theorien ĂŒber die Entstehung von HomosexualitĂ€t sich die seriösen Fachleute doch einig seien, dass dies nicht durch Willensentschluss geĂ€ndert werden könne, legte ich die Frage, wie HomosexualitĂ€t entsteht und ob sie verĂ€nderbar ist, beiseite und war damit 30 Jahre lang zufrieden. Dass ich mich, im Rahmen meiner Arbeit fĂŒr die HuK, jetzt doch wieder mit dem Thema beschĂ€ftige, liegt daran, dass insbesondere konservative, oft evangelikale Kreise in den Kirchen ihre Ablehnung von gelebter HomosexualitĂ€t mit der Ăberzeugung begrĂŒnden: âAber das kann man doch verĂ€ndern â die Wissenschaft hat es doch bewiesenâ. Die fatale Konsequenz fĂŒr die Kirchen ist, dass man daraus folgert:
- Ihr (die Kirchen, die Gemeinden, die Synoden, die Kirchenleitungen, ...) braucht doch gar nicht an homosexuelle Gemeindeglieder auch nur zu denken, Euch ĂŒber mögliche Segnungen fĂŒr schwule und lesbische Paare Gedanken zu machen usw.: HomosexualitĂ€t kann doch geheilt/verĂ€ndert werden; âdie Wissenschaft hat das bewiesenâ. Und schon ist eine Gruppe von Menschen aus der Kirche hinaus-definiert; sie können gar nicht wirklich Christen sein. Und wenn sie, als Nicht-Christen oder als Christen, in Politik und Gesellschaft gleiche Rechte wollen, z. B. fĂŒr gleichgeschlechtliche Partnerschaften, dann muss das abgelehnt werden; und wegen der âWissenschaftlichkeitâ der VerĂ€nderbarkeits-These hat man dabei auch gar kein schlechtes Gewissen: âDie könnten ja, wenn sie nur wollten.â
Von denen, die sagen âVerĂ€nderung [der sexuellen Orientierung] ist möglich â die Wissenschaft hat es bewiesenâ wird seit 2001 immer wieder Prof. Robert Spitzer (Columbia University, USA) als eine Art Kronzeuge zitiert [7]. Beispiele sind
- Das âDeutsche Institut fĂŒr Jugend und Gesellschaftâ (DIJG) ist, trotz des wissenschaftlich klingenden Titels, nicht ein unabhĂ€ngiges wissenschaftliches Institut, sondern ein Arbeitsbereich der konservativ-christlichen âOffensive junger Christenâ (OJC). In dem Grundsatz-Text der DIJG-Leiterin Dr. Christl Vonholt [8] beruft sie sich im Schlussabschnitt âVerĂ€nderung durch geeignete Therapie ist möglichâ gezielt auf die Spitzer-Studie.
- Die Stellungnahme des Missionshauses Bibelschule Wiedenest [1], in deren Text die Berufung auf Spitzer eine groĂe Rolle spielt: âWissenschaftliche Studien wie die von Robert Spitzer (2003), ... , bestĂ€tigen, dass Therapien, die eine Abnahme sexueller Impulse zum Ziel haben, wirksam sind und keine schĂ€dliche Wirkung habenâ.
- Ulrich Parzany, prominenter Prediger bei evangelikalen GroĂveranstaltungen. Er berief sich in und nach seinen umstrittenen ĂuĂerungen bei einem Gottesdienst in Berlin [5] auf Publikationen des DIJG.
Auf den Vortrag von Robert Spitzer bei einem Kongress der amerikanischen Psychiatrie-Vereinigung (APA) 2001 in New Orleans bin ich auf einer anderen Webseite âWas beweist die Spitzer-Studie wirklich?â [9] eingegangen; ich brauche es hier nicht zu wiederholen (Zur Spitzer-Studie siehe auch [3] und [4]). Wichtig ist vor allem die Auswahl derer, die von Prof. Spitzer befragt wurden: Man wurde nur in die Studie aufgenommen, wenn man nach eigener EinschĂ€tzung ein âErfolgsfallâ war; und 78 % der Teilnehmer hatten sich auch schon vorher öffentlich zustimmend zur These der VerĂ€nderbarkeit bekannt; es war also von ihnen kaum etwas Anderes zu erwarten. Die Frage, wie hoch denn die âErfolgsquoteâ im Allgemeinen ist, wurde in dieser Studie gar nicht gestellt.
Ăberraschend ist demgegenĂŒber, wie wenig bekannt die Tatsache ist, dass andere Referenten (Shidlo und Schroeder) in einem Vortrag bei derselben Tagung (2001) genau dieser Frage nachgingen: Sie befragten sowohl âerfolgreicheâ als auch ânicht erfolgreicheâ Menschen nach ihren Erfahrungen mit âKonversionstherapienâ. Die Studie wurde spĂ€ter in der Zeitschrift âProfessional Psychology: Research and Practiceâ (in englischer Sprache) veröffentlicht:
Ariel Shidlo, Michael Schroeder: Changing Sexual Orientation: A Consumers' Report
Ănderung der sexuellen Orientierung: Ein "Verbraucher-Berichtâ
Professional Psychology: Research and Practice 2002, Bd. 33, Nr. 3, S. 249â259
Denen, die mit englischsprachigen FachaufsĂ€tzen kein Problem haben, empfehle ich sehr, sich die Originalarbeit zu beschaffen und sie zu lesen. Ich bedauere, dass sie meines Wissens nicht online im Internet verfĂŒgbar ist. Mit etwas Aufwand mĂŒsste, etwa ĂŒber UniversitĂ€tsbibliotheken o. Ă€., der Artikel beziehbar sein. Alternativ im Web, es kostet aber $ 30,-
Diese Webseite berichtet in kurzer Form ĂŒber die Ergebnisse, vor allem fĂŒr deutschsprachige Leser, denen die Beschaffung oder das Lesen des englischsprachigen Original-Aufsatzes MĂŒhe bereiten wĂŒrde.
Teilnehmer der Studie
Die Autoren nahmen in ihre Studie Personen auf, die
- mindestens sechs Sitzungen einer Konversions-Therapie mitgemacht hatten,
- vor dem Therapie-Versuch homosexuell empfanden, auf der âmodifizierten Kinsey-Skalaâ [10] mit einem Wert von 5 oder mehr (von 7).
Ich benutze hier und im Folgenden das Wort âTherapieâ in einem allgemeineren Sinn, nicht im strengen Sinn z.B. des deutschen Rechts und der deutschen Krankenkassen-Regelungen fĂŒr Psychotherapie. VerĂ€nderungs-Anstrengungen, die Shidlo und Schroeder als ânicht-klinische Therapieâ bezeichnen, dĂŒrften in Deutschland nicht âpsychotherapeutische Behandlungâ genannt werden.
202 Personen wurden in die Studie aufgenommen; 14 wurden ausgeschlossen, weil sich herausstellte, dass eine der Bedingungen fĂŒr sie nicht zutraf. Wenn es sich um eine klinische Konversions-Therapie handelte, dann konnte sie von unterschiedlichem Typ sein: (1) Individuelle Psychotherapie, Typ nicht nĂ€her spezifiziert (die Mehrzahl), (2) Verhaltenstherapie, (3) Psychoanalyse, dazu verschiedene andere Therapieformen. Therapieformen wie âaverse conditioningâ (Anerziehen von EkelgefĂŒhlen im Zusammenhang mit HomosexualitĂ€t) kamen vor, waren aber eher selten (Sie kommen in der Gegenwart kaum mehr vor, waren aber frĂŒher recht populĂ€r). Dazu kamen eine etwas kleinere, aber immer noch groĂe Zahl von ânicht-klinischenâ Behandlungen, wie Gruppen von Gleichgesinnten (âpeer groupsâ), oft mit religiöser (d.h. ĂŒberwiegend konservativ-christlicher) Motivation. Viele Teilnehmer hatten mehr als eine Therapie durchlaufen. Die Durchschnittszahl der Therapie-Sitzungen war 188: Eine recht hohe Zahl, die auch erklĂ€rt, warum die Therapieversuche im Einzelfall bis ins Jahr 1951 zurĂŒck reichten. Zwischen der letzten Therapie-Sitzung und dem Interview fĂŒr die Studie lagen im Durchschnitt 12 Jahre. Die Autoren diskutieren die Frage, ob diese lange Vorgeschichte die Ergebnisse verfĂ€lschen könnte, kommen aber zum Schluss, dass dies nicht zutreffe. Sie schreiben, dass im Gegenteil Studien, die auf Befragungen noch wĂ€hrend der Therapie oder kurz nach deren Ende beruhen, ein falsches Bild ergeben könnten; manche Teilnehmer wĂŒrden ihre Therapie spĂ€ter noch anders beurteilen.
Es gibt eine betrĂ€chtliche Anzahl von âEx-Ex-Gaysâ, in den USA mit einer eigenen Webseite. Dem europĂ€ischen Leser drĂ€ngen sich hier Beispiele auf wie die von
- GĂŒnter Baum: MitbegrĂŒnder der christlich-konservativen Beratungsorganisation WĂŒstenstrom der dann nach Meinungsverschiedenheiten WĂŒstenstrom verlieĂ und die Organisation Zwischenraum grĂŒndete, nach eigenen Angaben eine Initiative âfĂŒr Menschen, die engagiert als Christen leben, von Jesus Christus fasziniert sind und die Freiraum brauchen, sich angstfrei mit sich selbst, ihrem Glauben und ihrer homo-, bi- oder transsexuellen Orientierung auseinander zu setzenâ;
- Jeremy Marks: GrĂŒnder von Courage UK (GroĂbritannien), die als Organisation der Ex-Gay-Bewegung begann, die aber dann unter seiner Leitung zu einer Gruppe wurde, die sich jetzt beschreibt als âschwule Christen und lesbische Christinnen, die einen ... Platz suchen, an dem sie ihren Glauben und ihre SexualitĂ€t wieder versöhnen könnenâ.
Sicher nur zwei einzelne Beispiele; sie zeigen aber, wie es gerade prominenten Vertretern der Ex-Gay-Bewegung auch gehen kann. Eine umfangreichere Liste solcher Beispiele findet man in [2].
Die Mehrzahl der Teilnehmer waren MĂ€nner (182 = 90 %), nur 20 (10 %) waren Frauen. Die ethnische Verteilung zeigt ein gewisses Ăbergewicht weiĂer MĂ€nner, sonst aber keine auffallenden Besonderheiten. 133 Teilnehmer (66 %) betrachteten sich als religiös (die Mehrzahl protestanisch), 49 (24 %) als nicht religiös.
Einteilung nach Gruppen, wie viele hatten âErfolgâ, wie viele âMisserfolgâ?
Die Autoren stellten fest, dass es bei fast allen Teilnehmern zu Beginn eine Begeisterungs-Phase (âhoneymoon periodâ) gegeben hatte, in der sie sich von der Therapie viel erhofften. BeweggrĂŒnde, an einer Therapie teilzunehmen, lagen sowohl in der persönlichen Unzufriedenheit mit dem GefĂŒhl, schwul oder lesbisch zu sein, als auch â bei den religiös motivierten Teilnehmern â bei dem GefĂŒhl von Schuld in religiösem Sinn, bei der Furcht vor Ablehnung innerhalb ihrer Kirche, auch der Furcht vor ewiger Verdammnis.
Die Autoren teilten die Befragten je nach ihrer SelbsteinschĂ€tzung des âErfolgsâ in zwei groĂe Gruppen ein,
- Fehlschlag (âfailureâ) nach eigener EinschĂ€tzung, noch untergliedert nach âVerletzungen bei der Wiederannahme einer homosexuellen IdentitĂ€tâ und âErfolgreiche Wiederannahme einer homosexuellen IdentitĂ€tâ;
- Erfolg (âsuccessâ) nach eigener EinschĂ€tzung, dann noch untergliedert nach âerfolgreich, aber noch [mit homosexuellen GefĂŒhlen] kĂ€mpfendâ, âerfolgreich und nicht kĂ€mpfendâ, erfolgreiche âVerschiebung zum Heterosexuellen hinâ.
Eine erste Einordnung auf Grund der Interviews ergab 176 Personen (87 %), die nach eigener EinschÀtzung einen Fehlschlag in der Konversionstherapie hatten, und 26 (13 %), die nach eigener EinschÀtzung Erfolg hatten.
Interessant mag erscheinen, dass diese Zahl gar nicht so weit entfernt sind von den (seltenen) FĂ€llen, in denen Verfechter von Konversionstherapien Prozentzahlen nennen: Van den Aardweg spricht in seinem Buch âDas Drama des gewöhnlichen Homosexuellenâ von 11 %, die in vollem Sinn mit seinen Therapien âErfolgâ hatten.
Die âNicht Erfolgreichenâ wurden von den Autoren fĂŒr die Zeit nach dem Festellen des Fehlschlags in zwei Gruppen eingeteilt:
- âDissatisfied asexual periodâ: EnttĂ€uschung darĂŒber, dass der erhoffte Erfolg ausblieb, oft zölibatĂ€res Leben, Sich-in-die-Arbeit-stĂŒrzen, auch Depressionen. (Die Autoren meinen, dass einige dieser Personen von den Therapeuten vermutlich als âErfolgâ bezeichnet wĂŒrden, weil sie eben keinen homosexuellen Sex mehr hatten).
- âConversion-model crackâ: Diese Periode wurde von den Autoren als die problematischste bezeichnet: Wiederaufleben von homosexuellen GefĂŒhlen, die aber als unerwĂŒnscht (âego-dystonicâ) empfunden werden, soziales Sich-ZurĂŒckziehen, GefĂŒhl von Versagen. Berichtet wurde von zunehmenden SchuldgefĂŒhlen, Depressionen usw. Hier wurde auch (ohne Zahlenangaben) von ernsthafter SelbstgefĂ€hrdung berichtet, einschlieĂlich Selbstmord-Gedanken, und von erheblichem Drogenmissbrauch.
Viele Teilnehmer sagten auch, sie hĂ€tten ihrem Therapeuten gegenĂŒber die Fortdauer gleichgeschlechtlicher GefĂŒhle verschwiegen. Kommentar der Autoren: Das mag bei manchen Therapeuten zu einer ĂberschĂ€tzung der Anzahl der âErfolgs-FĂ€lleâ beigetragen haben.
Bei den 26 Personen, die sich selbst als erfolgreich bezeichneten, wurde noch nĂ€her nachgefragt: 12 bezeichneten sich als âsuccessful and strugglingâ, d.h. als erfolgreich, aber immer noch mit homosexuellen GefĂŒhlen kĂ€mpfend; das Wort âslipâ (hier: RĂŒckfall) kam öfters vor. 6 bezeichneten sich als âsuccessful and not strugglingâ; 3 von ihnen lebten zölibatĂ€r (weder homosexueller noch heterosexueller Sex). Nur 8 (4 %) erfĂŒllten die strengeren Voraussetzung fĂŒr eine Aufnahme in die Kategorie âVerschiebung zum Heterosexuellen hinâ: (a) 3 Punkte oder weniger aus der Kinsey-Skala, (b) Selbst-Bezeichnung als heterosexuell, (c) kein homosexuelles Verhalten mehr, sondern nur noch heterosexuelles Verhalten, (d) eine funktionierende heterosexuelle Partnerschaft. 7 dieser 8 Personen boten selbst Ex-Gay-Beratung an, 4 davon als bezahlte Mitarbeiter in Ex-Gay-Organisationen.
Im Endzustand teilen die Autoren die Gruppe der 176 âErfolglosenâ in 155, die sie mit dem Begriff âinjured-recovery-of-gay-identityâ bezeichnen, also als nach wie vor bzw. wieder homosexuell empfindend, aber langfristig verletzt (Symptome von Depression, Drogenmissbrauch, auch von Selbstmord-nahen ZustĂ€nden; âdas soziale Netz der Konversionstherapie funktionierte nicht, und es gab kein bejahend schwul-lesbisches Netz, um es zu ersetzenâ) und in 21, die sie mit âresilient-recovery-of-gay-identityâ bezeichnen: Diese Personen nahmen ihre IdentitĂ€t als Schwule bzw. Lesben ohne SchuldgefĂŒhle (wieder) auf, sie wurden von den Autoren als psychisch stabil bezeichnet.
Kritik an der Studie
Die Autoren machen kein Hehl aus zwei Punkten, die von Gegnern ihrer Studie spÀter oft als Kritik genannt wurden:
- Sie sind selbst schwul und mindestens zum Teil in schwul-lesbischen Organisationen im Therapiebereich tĂ€tig; Ariel Shidlo zum Beispiel im âColumbia Center for Gay, Lesbian and Bisexual Mental Healthâ der Columbia University, New York.
- Die Studie begann unter dem Titel âHomophobe Therapien: Den Schaden dokumentierenâ; die Teilnehmer wurden zunĂ€chst aus dem schwul-lesbischen Umfeld rekrutiert. Die Autoren berichten, dass sie nach den ersten 20 Interviews, mit zunehmendem Echo (einige Teilnehmer berichteten, dass ihnen die Therapie auch geholfen habe) und mit zunehmender finanzieller StabilitĂ€t der Studie (die Geldmittel erlaubten nun z. B. die Einrichtung einer gebĂŒhrenfreien Telefonnummer und die AnkĂŒndigung auch in nicht-homosexuellen und Ex-Gay-Medien) zu dem neutraleren, endgĂŒltigen Titel âĂnderung der sexuellen Orientierung: Hilft therapeutische Beratung?â ĂŒbergingen.
Die Autoren diskutieren in dem Artikel â wie in wissenschaftlichen Zeitschriften ĂŒblich â, ob die IdentitĂ€t der Autoren oder der anfĂ€ngliche Rekrutierungsweg im Gewinnen von Teilnehmern eine bestimmte Richtung des Ergebnisses zu Folge gehabt haben könne. Sie berichten ĂŒber die routinemĂ€Ăige Information der Teilnehmer ĂŒber die Tatsache, dass die Autoren und Interviewer offen schwule Psychologen seien, und ĂŒber die Reaktionen der Teilnehmer auf die Frage âHaben Sie das Interview als voreingenommen empfunden?â. Sie berichten, dass die Teilnehmer, auch die, die aus Ex-Gay-Gruppen vermittelt worden waren, die Frage nach Voreingenommenheit verneint hĂ€tten. Fairerweise muss man natĂŒrlich sagen: Das Ă€ndert nichts daran, dass auch hier â wie bei allen Studien von hĂŒben oder drĂŒben â der Rekrutierungsweg und damit die Auswahl der Teilnehmer eine Rolle gespielt hat.
Es ist bekannt, dass schon der Versuch, eine reprĂ€sentative Gruppe von Homosexuellen ĂŒberhaupt zu bekommen, oder den Prozentsatz Homosexueller in der Gesellschaft allgemein zu bestimmen, schwierig ist: Wenn emotionale, kirchliche oder politisch-gesellschaftliche Voreinstellungen eine Rolle spielen (in einigen Bundesstaaten der USA ist praktizierte HomosexualitĂ€t nach wie vor strafbar), ist es Ă€uĂerst schwierig, wissenschaftlich gesicherte Aussagen zu erhalten. AuskĂŒnfte in diesem Gebiet sind vorsichtiger zu beurteilen als AuskĂŒnfte auf die Frage, ob man lieber Ford oder Opel fĂ€hrt. Ebenso schwierig ist es, wissenschaftlich wirklich reprĂ€sentative Zahlen zu bekommen, wenn es um âErfolgâ oder âMisserfolgâ von Therapien geht, die fĂŒr den Teilnehmer immer auch mit persönlichen Erfolgs- oder Versagens-GefĂŒhlen verbunden sind. Die einzige Chance scheint darin zu bestehen, Studien trotzdem so objektiv wie möglich durchzufĂŒhren und offen ĂŒber die Randbedingungen zu berichten. Dies haben die Autoren meiner Ansicht nach getan.
Eine Darstellung verschiedener Argumente zu solchen Studien findet man z.B. in der offenen EnzyklopĂ€die âWikipediaâ (deutschsprachige bzw. englischsprachige Ausgabe; die englischsprachige Ausgabe ist bei vielen Stichworten ausfĂŒhrlicher). EinschlĂ€gig sind hier die Artikel [12] (deutsch) bzw. [11] (englisch). Allerdings ist bei Wikipedia hierfĂŒr wie fĂŒr alle umstrittenen Themen zu beachten, dass der groĂe Erfolg des offenen Lexikons auch dazu fĂŒhrt, dass Interessengruppen der einen oder der anderen Richtung sich bemĂŒhen, Artikel (bei denen jed(r) als Autor(in) mitwirken kann) in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Inhalte entsprechender Wikipedia-Webseiten Ă€ndern sich daher auch hĂ€ufiger als die von Seiten mit eher âtechnischenâ Inhalt.
Echo auf die Studie in den Medien
Ein interessanter Artikel zum Bekanntheitsgrad der beiden VortrĂ€ge, die beide bei der APA-Tagung 2001 gehalten wurden und die beide spĂ€ter in wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind (Spitzer und Shidlo/Schroeder), findet sich auf den Webseiten der USA-weiten ânational media watch groupâ FAIR: WĂ€hrend die Spitzer-Studie bald in aller Munde war (âEs gibt doch erfolgreiche Heilungen!â), blieb die Shidlo/Schroeder-Studie (âWie groĂ ist die Zahl der Nicht-Erfolgreichen, und welche Probleme entstanden fĂŒr sie?â) fast unbekannt. Dies habe aber mehr mit der US-Medienlandschaft zu tun als mit dem wissenschaftlichen Wert der Studien. In dem Artikel âControversy, Not Credibilityâ [6] wird, vor einer AufzĂ€hlung des Medienechos, die ironische Frage gestellt:
- âRate mal, welche Studie von Journalisten ĂŒberall hinausposaunt wurde, und mit welcher Studie kurzer Prozess gemacht wurdeâ
Ein dort zitierter Kommentar von Ariel Shidlo:
- âWĂŒrde ein Medikament zugelassen werden, das zum Beispiel fĂŒnf von hundert Menschen hilft, aber 35 der 100 schwer schadet, und das fĂŒr den ganzen Rest keine Wirkung hat? Das ist ein Punkt, den die Medien [in den USA] ignoriert haben.â
Quellen:
- Horst Afflerberg fĂŒr das âMissionshaus Bibelschule Wiedenestâ â Stellungnahme der Bibelschule Wiedenest Angriffe von Volker Beck und der Fraktion BĂŒndnis 90/Die GrĂŒnen auf Evangelikale Christen
- Wayne Besen Anything but straight
- Valeria Hinck Spitzerstudie, Amsterdam-Studie, etc. â was steht dort wirklich (nicht)?
- Dieselbe Wie allwissend ist Wissenschaft im Namen des AllmÀchtigen? Kritische Fragen an die Advokaten der Heilungspsychologie
- HuK-Webseite: Konflikte um eine Predigt von Ulrich Parzany
- Jennifer L. Pozner Controversy, not Credibility
- Robert L. Spitzer Neue Studie zur Frage der VerÀnderbarkeit einer homosexuellen Orientierung aus dem Bulletin-Sonderheft 2005 des DIJG
- Christl R. Vonholdt HomosexualitÀt verstehen Bulletin-Sonderdruck 2006 des DIJG
- Reinhold Weicker Was beweist die Spitzerstudie wirklich?
- Wikipedia (deutsch) zum Stichwort Kinsey-Skala
- Wikipedia (englisch) zum Stichwort Conversion-Therapy
- Wikipedia (deutsch) zum Stichwort Reparativtherapie
Quellenverweise sind genau solche, sie stellen keine Empfehlung des Autors oder der HuK dar.