Von Reinhold Weicker, Paderborn

Umschwung in der Anti-Homo-Argumentation: Statt „unchristlich” jetzt: „unwissenschaftlich”

In den letzten Jahren, vor allem seit 2001, sind die Stimmen aus dem christlich-konservativen, oft „evangelikal” genannten Lager immer lauter geworden, die gegen Homosexuelle argumentieren, jetzt nicht mehr (wie es frĂŒher oft der Fall war) mit dem Argument „Das ist doch unchristlich/SĂŒnde”, sondern mit dem pseudo-wissenschaftlichen Argument „Die Wissenschaft hat doch bewiesen, dass HomosexualitĂ€t nicht angeboren ist; also ist eine VerĂ€nderung zur HeterosexualitĂ€t hin möglich â€“ man muss nur wollen und die richtigen Berater oder Therapeuten finden”. Die fatale Konsequenz fĂŒr die Kirchen â€“ und nicht nur fĂŒr sie, auch fĂŒr die Gesellschaft im Ganzen – ist, dass man daraus folgert:

  • Ihr (die Kirchen, die Gemeinden, die Synoden, die Kirchenleitungen, ...) braucht doch gar nicht an homosexuelle Gemeindeglieder auch nur zu denken, Euch ĂŒber mögliche Segnungen fĂŒr schwule und lesbische Paare Gedanken zu machen usw.: HomosexualitĂ€t kann doch geheilt/verĂ€ndert werden; „die Wissenschaft hat das bewiesen”. Und schon ist eine Gruppe von Menschen aus der Kirche hinaus-definiert; sie können gar nicht wirklich Christen sein. Und wenn sie, als Nicht-Christen oder als Christen, in Politik und Gesellschaft gleiche Rechte wollen, z.B. fĂŒr gleichgeschlechtliche Partnerschaften, dann muss das abgelehnt werden; und wegen der „Wissenschaftlichkeit” der VerĂ€nderbarkeits-These hat man dabei auch gar kein schlechtes Gewissen: „Die könnten ja, wenn sie nur wollten.”

Unter denen, die diese These vertreten, sind vor allem die „Offensive Junger Christen” (OJC) mit ihrem Zweig „Deutsches Institut fĂŒr Jugend und Gesellschaft” (DIJG). Zu nennen ist auch die Organisation wuǝstenstrom e.V. Auf sie wird auch z.B. beim Weißen Kreuz verwiesen: Alle Texte auf der Webseite des Weißen Kreuzes (Stand April 2008) zum Thema HomosexualitĂ€t stammen von wuǝstenstrom.

In Deutschland gibt es also einerseits eine große Zahl von Institutionen oder Initiativen, die diese Thesen vertreten, zum Teil mit erheblichem publizistischem Einsatz. Untersuchungen, die ĂŒber das Nennen von EinzelfĂ€llen hinausgehen, wissenschaftliche Studien sind mir aber aus dem deutschsprachigen Raum nicht bekannt, weder in der, kurz gesagt „Anti-Homo-Richtung” noch in der „Pro-Homo-Richtung”. Wenn wissenschaftliche Artikel zur BegrĂŒndung des eigenen Urteils zitiert werden, greift man auf Arbeiten zurĂŒck, die in den USA (in englischer Sprache) veröffentlicht wurden. Auch dies gilt fĂŒr beide Richtungen.

Die wichtigsten Arbeiten in den USA

Bekanntlich hat der wichtigste amerikanische Fachverband, die Amerikanische Psychiatrie-Vereinigung (American Psychiatric Association, APA) 1973 HomosexualitĂ€t aus dem Katalog psychischer Krankheiten gestrichen und argumentiert „Da gibt es nichts zu heilen, denn HomosexualitĂ€t ist keine behandlungsbedĂŒrftige Krankheit”. Von interessierter Seite, bis hin zu dem prominenten deutschen Prediger Ulrich Parzany [4], wurde argumentiert, dass dies doch nur auf politischen Druck der „Schwulen-Lobby” hin erfolgt sei, so quasi als Nachwirkung der turbulenten Nach-68er-Zeit. Dabei wird elegant ĂŒbergangen, dass noch 1999/2000 die APA ihre Entscheidung explizit noch einmal, mit einer ausfĂŒhrlichen BegrĂŒndung, bestĂ€tigt hat [5]. Ähnliche Stellungnahmen liegen von praktisch allen großen FachverbĂ€nden in den USA vor (Psychologen, Mediziner allgemein, Sozialarbeiter, usw.); in Deutschland ist es Ă€hnlich.

Drei Studien haben zumindest versucht, eine grĂ¶ĂŸere Anzahl von Konversions-Versuchen wissenschaftlich aufzuarbeiten, d.h. nicht nur ĂŒber EinzelfĂ€lle zu berichten, sondern Prozentzahlen zu nennen. Was die Öffentlichkeit dabei vor allem interessiert, ist die „Erfolgsquote”: Kann man sagen, wieviel Prozent von denen, die eine VerĂ€nderung suchten (im Sinne der Berater meist: „Heilung” von der HomosexualitĂ€t weg), denn dabei Erfolg hatten?

Die drei Studien sind

  • „Spitzer-Studie”: ZunĂ€chst ein Vortrag bei der Jahrestagung der APA, 2001. Dann veröffentlicht als: Spitzer, R.L.: Can some gay men and lesbians change their sexual orientation? Two hundred participants reporting a change from homosexual to heterosexual.
    Deutsche Übersetzung der Vortragsfolien von 2001 in [6] (Webseite des DIJG).
  • „Shidlo/Schroeder-Studie”: ZunĂ€chst ein Vortrag bei der Jahrestagung der APA, 1999. Dann veröffentlicht als: Ariel Shidlo und Michael Schroeder: Changing Sexual Orientation: A Consumers' Report.
    Professional Pychology: Research and Practice 33(3), 249–259 (2002)
  • „Jones/Yarhouse-Studie”: Buch: Stanton L. Jones, Mark A Yarhouse: Ex-gays? A Longitudinal Study of Religiously Mediated Change in Sexual Orientation.
    IVP Academic, Varsity Press, Downers Grove, Illinois/USA, 2007, 414 S.

Über zwei der drei Studien habe ich schon zusammenfassend, in deutscher Sprache, berichtet [8][9]; fĂŒr die dritte Studie ist eine deutschsprachige Zusammenfassung in Arbeit; Teile sind hier wiedergegeben.

Die „Spitzer-Studie”: Nur „ErfolgsfĂ€lle” untersucht

Diese Studie trĂ€gt zu der oft gestellten Frage nach der „Erfolgsquote” nichts bei: Von vornherein wurde man in die Studie nur aufgenommen, wenn man angab, ein „Erfolgsfall” zu sein. 78 % der 200 Befragten hatten schon öffentlich fĂŒr die These der VerĂ€nderbarkeit Stellung genommen; man kann annehmen, dass sie zu den FunktionstrĂ€gern von Organisationen wie NARTH (National Asociation for the Reparative Therapy of Homosexuals) gehörten.
Schon in der Studie selbst (z. B. [6] Folie 38) spricht Spitzer von den Schwierigkeiten, die es machte, 200 Teilnehmer ĂŒberhaupt zu finden. SpĂ€ter hat er in einem auf „Youtube” verfĂŒgbaren Interview sinngemĂ€ĂŸ gesagt: „Wenn ich gewusst hĂ€tte, wie meine Studie [von AnhĂ€ngern der Reparativtherapie] genutzt wurde, wĂ€re ich mit der Veröffentlichung viel vorsichtiger gewesen”.
NĂ€heres zu der Studie in [9] (HuK) und [3] (Zwischenraum); das kĂŒrzlich (2007?) aufgenommene Video ist unter [7] zu finden.

Die „Shidlo/Schroeder-Studie”: Breite Basis an Befragten; ReprĂ€sentativitĂ€t umstritten

Im Gegensatz zur „Spitzer-Studie” war „Erfolg” nicht Bedingung fĂŒr die Aufnahme. In die Gruppe der Befragten (202 Personen) wurden Menschen aufgenommen, die

  • mindestens sechs Sitzungen einer Konversions-Therapie mitgemacht hatten,
  • vor dem Therapie-Versuch homosexuell empfanden.

Eine erste Einordnung auf Grund der Interviews ergab 176 Personen (87 %), die nach eigener EinschÀtzung einen Fehlschlag in der Konversionstherapie hatten, und 26 (13 %), die nach eigener EinschÀtzung Erfolg hatten.

Die „Nicht Erfolgreichen” wurden von den Autoren schließlich in zwei Gruppen eingeteilt: 155, die sie mit dem Begriff „injured-recovery-of-gay-identity” bezeichnen, also als nach wie vor bzw. wieder homosexuell empfindend, aber langfristig verletzt (Symptome von Depression, Drogenmissbrauch, auch von Selbstmord-nahen ZustĂ€nden), und in 21, die sie mit „resilient-recovery-of-gay-identity” bezeichnen: Diese Personen nahmen ihre IdentitĂ€t als Schwule bzw. Lesben ohne SchuldgefĂŒhle (wieder) auf, sie wurden von den Autoren als psychisch stabil bezeichnet.

Von Gegnern der Studie wurde oft als Kritik genannt:

  • Die Autoren sind selbst schwul und mindestens zum Teil in schwul-lesbischen Organisationen im Therapiebereich tĂ€tig;
  • Die Studie begann unter dem Titel „Homophobe Therapien: Den Schaden dokumentieren”; die Teilnehmer (fĂŒr die ersten 20 Interviews) wurden zunĂ€chst nur aus dem schwul-lesbischen Umfeld rekrutiert.

„Das kann doch dann keine objektive wissnschaftliche Studie sein”, wurde argumentiert, allen Anstrengungen der Autoren auf neutrale Befragungsmethoden zum Trotz.

Auf den HuK-Webseiten ist eine deutschsprachige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie zu finden [8].

Die „Jones/Yarhouse-Studie”: Viel Analyse mit wenig Daten

In den letzten Jahren, seit etwa 2007, wird diese Studie immer mehr in den Vordergrund der Argumentation von VerĂ€nderungs-BefĂŒrwortern gestellt: „.. die bislang beste wissenschaftliche Untersuchung .. zur Frage, ob eine homosexuelle Orientierung verĂ€ndert werden kann ...” heißt es zum Beispiel auf den Webseiten des DIJG [2]. Befragt wurden Teilnehmer von „Exodus Ministries” in den USA. Exodus ist eine Art Dachverband von ĂŒberwiegend religiös motivierten Ex-Gay-Gruppen, also von Gruppen/Zentren, die Menschen im Bereich (Homo-)SexualitĂ€t in einem „positiven” Sinn verĂ€ndern wollen, von der HomosexualitĂ€t weg. Die Befragung geschah, anders als bei den beiden oben genannten Studien, erstmalig als „Langzeit-Studie” („longitudinal study”): Es wurde versucht, Menschen schon zu Beginn ihrer Zeit („Time 1”) mit Exodus zu befragen und die Befragung dann zu spĂ€teren Zeiten („Time 2”: Ca. 9 Monate spĂ€ter; „Time 3”: Ca. 31 Monate spĂ€ter; zum Teil allerdings stark abweichende Zeit-Intervalle) zu wiederholen. Allerdings wurden doch 44 der 98 Teilnehmer nicht am Anfang rekrutiert, sondern erst als ihr Start bei Exodus schon lĂ€nger zurĂŒcklag; dazu hatten eine grĂ¶ĂŸere Zahl der Teilnehmer vorher schon Therapieversuche bei anderen Organisationen gemacht. Die Autoren schreiben offen, dass fĂŒr die Untergruppe der 54 „echten Phase-1-Teilnehmer” die Ergebnisse weniger gĂŒnstig im Sinne von Exodus seien.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Studien, die als VortrÀge und danach in Fachzeitschriften veröffentlicht worden sind, handelt es sich hier um ein Buch von immerhin 414 Seiten; die eigentliche Darstellung der eigenen Untersuchungsergebnisse beginnt auf Seite 230.

Positiv muss man vermerken, dass die Autoren (Professoren an der Regent University und am Wheaton College in den USA) ihr Handwerk bei der Auswertung von Befragungsdaten im Bereich der Psychotherapie verstehen; die Zahlen werden mit den ĂŒblichen Mechanismen der empirischen Sozialforschung analysiert, mit vielen Tabellen und Diagrammen als Ergebnis. Sie nennen Einzelergebnisse auch dann, wenn sie fĂŒr die Hauptthesen des Buches negativ ausfallen (das kommt öfters vor). Diese Hauptthesen – die natĂŒrlich bei den positiven Rezensionen aus dem Ex-Gay-Lager krĂ€ftig hervorgehoben wurden – sind:

  • VerĂ€nderung in positivem Sinne tritt signifikant oft auf;
  • Ein Schaden durch Ex-Gay-Programme ist nicht nachweisbar.

Wenn der Shidlo/Schroeder-Studie vorgeworfen wurde, die Anfangs-Finanzierung durch lesbisch-schwule Organisationen sei nicht mit einer objektiven Studie vereinbar, so gilt das hier ebenso, wenn nicht noch mehr:

  • Das Projekt wurde von Exodus finanziert. Jones und Yarhouse hatten sich vorher schon in AufsĂ€tzen zum Thema HomosexualitĂ€t als konservativ-christliche Autoren qualifiziert; man kann annehmen, dass dies fĂŒr die Exodus-Entscheidung, die Studie zu finanzieren, ein wesentliches Kriterium war.
  • Trotzdem halbierte sich gegenĂŒber den beiden anderen Studien noch einmal die Zahl der Teilnehmer: Es waren schließlich nur 98 Personen, mit denen man begann; 73 nahmen zum Zeitpunkt der dritten Befragung („Time 3”) noch teil. Auf S. 117 sagen die Autoren offen „Zu Beginn hofften wir, 300–400 Teilnehmer in die Studie aufzunehmen. ... Wir waren tief enttĂ€uscht ĂŒber einen unerklĂ€rten Mangel an Kooperation durch einige Exodus-Zweige ..., in der Tat die grĂ¶ĂŸten und die, die weithin innerhalb von Exodus als die erfolgreichsten betrachtet werden”.

Wenn dann nur einer der Teilnehmer „die Seiten wechselt”, hat das bei den geringen absoluten Zahlen sofort Auswirkungen auf das Ergebnis. Von einem Teilnehmer berichten die Autoren auch ganz ehrlich, dass er spĂ€ter seine Selbst-Schilderung als Erfolgsfall widerrufen hat und sich wieder als „gay” betrachtet (S. 286; in recht negativ wertender Darstellung heißt es hier „Er hat sich dem schwulen Lebensstil zugewandt”). Dies war vor der Drucklegung des Buches; da die Datenauswertung aber schon abgeschlossen war, wurde und wird er weiter als „Erfolg” gezĂ€hlt. Es wird versprochen, dass die neue SelbsteinschĂ€tzung in einer spĂ€teren FortfĂŒhrung/Neuauflage des Buches berĂŒcksichtigt werden wird.

diagramme jones yarhouse studie1Wie ist denn nun Erfolg definiert, und wieviele waren erfolgreich? Die „Torten-Diagramme” auf S. 283 bzw. 285 geben wohl den besten Aufschluss: GemĂ€ĂŸ S. 283 („Figure 8.1”, Aufteilung der 73 Teilnehmer, die zu Zeit 3 noch vorhanden waren) gab es 15 % FĂ€lle „Success: Conversion” (Erfolg: Konversion) und 23 % FĂ€lle „Success: Chastity” (Erfolg: Keuschheit). Die resultierenden 38 % „Erfolg” werden denn auch in zusammenfassenden Kommentaren der Autoren und vor allem der Zweit-Berichter, die anderswo ĂŒber das Buch berichten, genannt: Das hört sich wirklich erfolgreich an. Ist es das aber, wenn mehr als die HĂ€lfte der „Erfolgreichen” einfach sich entschlossen, keinen Sex (mehr) zu haben? Skeptische „normale” Wissenschaftler wĂŒrden sagen: Das sind wahrscheinlich immer noch homosexuell empfindende Menschen (nach der eigenen Definition der Autoren also „homosexual”), die sich eben entschlossen haben, keinen Sex (mehr) zu haben. Wer die Worte „Reparative Therapy”, „VerĂ€nderung” o. Ă€. hört, wird wohl nur in den seltensten FĂ€llen damit die Vorstellung „einfach keinen Sex mehr” damit verbinden, sondern wird sich so etwas wie ein erfĂŒlltes heterosexuelles Leben vorstellen.

diagramme jones yarhouse studie2Die Zahlen werden noch „schlimmer”, wenn man die „Dropouts” mit einbezieht, also die, die zu Zeit 2 oder 3 nicht mehr gefragt werden konnten. Die Annahme ist nahe liegend, dass sie wohl eher zu den „MisserfolgsfĂ€llen” gezĂ€hlt werden mĂŒssen. Die in diesem Sinne berichtigte Aufteilung wird von den Autoren – das muss man zu ihren Gunsten sagen – nicht verschwiegen; sie steht auf S. 285 („Figure 8.2”, Dropouts als MisserfolgsfĂ€lle gewertet) Nur noch 28 % „Erfolg”, davon 17 % „Chastity” und nur 11 % „Success: Conversion”. Wird das den Exodus-AnfĂ€ngern wirklich offen so gesagt? Rechtfertigen diese Zahlen – die noch dazu, wie gesagt, auf der Basis einer von Exodus ausgelesenen kleinen Teilnehmer-Zahl gewonnen wurden – die Charakterisierung „bei einem hohen Prozentsatz der Betroffenen zu starken, klinisch bedeutsamen VerĂ€nderungen der homosexuellen Orientierung gefĂŒhrt”, wie DIJG in seiner Besprechung der Studie jubelnd zitiert [2]?

Zusammenfassung: Brachte Jones/Yarhouse wirklich den wissenschaftlichen Durchbruch?

Es ist kein Zufall, dass die eigentliche Studie (Darstellung der Befragten-Gesamtheit, Einzel-Ergebnisse) in dem Buch erst auf S. 230 beginnt. Vorher werden diverse Gegenbilder aufgebaut, und es wird des lÀngeren gegen sie argumentiert:

  • Es wird suggeriert, dass die Gegenseite behaupte, HomosexualitĂ€t sei ausschließlich genetisch bedingt. Daraus, dass bisher die Genforschung keinen ĂŒberzeugenden Platz in der Erbsubstanz genannt hat, wird geschlossen, dass dann HomosexualitĂ€t wohl komplett erworben sein mĂŒsse, jedenfalls Ă€nderbar sei.
  • Es wird suggeriert, dass die Gegenseite behaupte, VerĂ€nderung der sexuellen Orientierung sei ĂŒberhaupt nicht möglich, sei grundsĂ€tzlich ausgeschlossen. Dann wĂŒrde tatsĂ€chlich ein einziges Gegenbeispiel zur Falsifizierung dieser These ausreichen. Es fĂ€llt aber schwer, fĂŒr solche absoluten Behauptungen einen Beleg zu finden, APA und andere warnen allerdings vor potentiellem Schaden bei Versuchen der VerĂ€nderung.

Zwei Beispiele von wirklich schwerem Schaden - Selbstmord aus Verzweiflung ĂŒber das als unlösbar empfundene Dilemma, homosexuell zu sei und doch ein Christ im Sinne von Exodus u. a. sein zu wollen â€“ werden von den Autoren selbst auf S. 359 genannt (es sind allerdings keine Teilnehmer an der Jones/Yarhouse-Studie). Die Autoren sagen offen, dass sie dies betroffen mache, relativieren es dann aber wieder durch die Summenbildung in der Statistik: Viele „Verbesserungen” gemĂ€ĂŸ Selbst-Aussage relativierten auch solche gravierenden MisserfolgsfĂ€lle. Es fĂ€llt allerdings auf, dass in 2 der 5 FĂ€lle „Success: Conversion” in denen beispielhaft wörtliche Aussagen von Teilnehmern wiedergegeben werden, die Befragten offenbar eine hauptamtliche Stellung in der „Ministry” – also wohl als hauptamtlicher Pfarrer in einer Kirche fundamentalistischer PrĂ€gung – anstreben: Wer wĂŒrde in einer solchen Situation nicht sagen, dass er ein Erfolgsfall ist? Wer wĂŒrde in einer solchen Situation sagen, dass ihm das Exodus-Programm geschadet habe?

Nach wie vor muss man sagen, dass im VerhĂ€ltnis zur begeisterten Außendarstellung der Konversionstherapien und der Werbung fĂŒr solche Anstrengungen die wissenschaftlichen Ergebnisse (Bringen sie etwas? Wie hoch ist die Erfolgsquote?) recht dĂŒrftig sind. Forderungen, die in anderen Bereichen der medizinischen oder psychiatrischen Forschung selbstverstĂ€ndlich sind (Vergleich mit einer Kontrollgruppe, objektive Messmethoden, exakte Definition, was als „Erfolg” betrachtet wird) werden ignoriert. Jones und Yarhouse bringen zumindest Argumente, warum sie diesen Forderungen nicht nachkommen:

  • Bei einer so langen Zeitdauer einer Langzeitstudie sei eine Kontrollgruppe (Menschen, die nicht am Exodus-Programm teilnehmen und bei denen möglicherweise spontan VerĂ€nderungen auftreten) nicht praktikabel.
  • Objektive Messmethoden z. B. fĂŒr die sexuelle Erregung (ĂŒblicherweise durch MessfĂŒhler an Penis oder Vagina – zugegebenermaßen nicht gerade ein angenehmer Gedanke), sei fĂŒr die Teilnehmer, da konservative Christen, nicht zumutbar: Sie sind typischerweise (wenn auch nicht notwendig) mit dem Zeigen pornographischer Bilder verbunden, und das sei biblisch nicht erlaubt. Auf mögliche neuere, weniger invasive Messmethoden wie z.B. Gehirnstrom-Messungen gehen die Autoren nicht ein.
  • Dem Einwand, dass „Success: Chastity” (also „Erfolg” durch Verzicht auf SexualitĂ€t) in der allgemeinen Wissenschaft doch kaum als Erfolg einer Konversionstherapie gewertet werde, wird durch Verweis auf Exodus-Kriterien begegnet: Exodus betrachtet von seiner biblisch-konservativen Sicht aus AsexualitĂ€t als einen Weg von der HomosexualitĂ€t weg („to leave the homosexual lifestyle” wird es oft genannt), also als Erfolg; die Autoren ĂŒbernehmen einfach diese Definition, im Sinne von: „Was Exodus als Erfolg betrachtet, das betracheten die Exodus-Klienten wohl auch als Erfolg, also zĂ€hlen auch wir in unserer Auswertung es als Erfolg”.

Außerdem hat jede Form einer Langzeitstudie zwar methodisch den Vorteil, dass Interviewpartner nicht nach den sexuellen GefĂŒhlen zu einer evtl. lĂ€nger zurĂŒckliegenden Zeit gefragt werden mĂŒssen, sie hat aber auch den Nachteil, dass zur Kontaktaufnahme mit Probanden eine Kooperation mit der Ex-Gay-Organisation (z. B. Exodus) zwingend notwendig ist: Anders kommt man nicht in frĂŒhen Kontakt mit den Teilnehmern. Jones und Yarhouse schildern drastisch, wenn auch eher versteckt und implizit, welche Kontrollmöglichkeit dadurch Exodus ĂŒber die Studie hatte (S. 18 ff.): Es war fĂŒr Exodus möglich, einfach nur solche Teilnehmer zu vermitteln, von denen man wusste oder hoffte, dass das Ergebnis im Sinn von Exodus ausfallen wĂŒrde. Die Autoren sagen dies nicht, sondern stellen nur achselzuckend fest: Wir haben leider viel zu wenig Probanden vermittelt bekommen; viele Exodus „Ministries” machten einfach nicht mit, trotz der aus frĂŒheren Veröffentlichungen bekannten konservativ-christlichen Grundeinstellung der Autoren („our evangelical credentials”).

Ingesamt ist also eine Charakterisierung „Viel wissenschaftliche Methodik, aber auf der Basis von recht wenigen und fragwĂŒrdig ausgewĂ€hlten Daten” wohl berechtigt: Ist das wirklich der Durchbruch an Wissenschaftlichkeit, den manche Leute in dieser Studie sehen? Vielleicht werden wir es nie erfahren: Die meisten werden wegen des Umfangs die Studie ohnehin nicht selbst lesen.

Das Vorangehende soll nicht heißen, dass eine VerĂ€nderung in der sexuellen Orientierung grundsĂ€tzlich ausgeschlossen ist. (Ich selbst hörte allerdings auch von VerĂ€nderung in der Richtung heterosexuell â†’ homosexuell, die in diesen Studien ĂŒberhaupt nicht behandelt wird.) Was die „Erfolgschancen” angeht, so stimmt allerdings eine nĂ€here BeschĂ€ftigung mit den amerikanischen Studien eher skeptisch.

Nachtrag, 06.06.2008: Eine grĂŒndliche Darstellung und Kritik des Buches von Jones/Yarhouse findet sich auf einer Webseite „Spitzer als Spitzer” von Dr. Valeria Hinck, die fĂŒr Zwischenraum mehrere gute Texte zum Thema „Konversionstherapie / VerĂ€nderung” geschrieben hat. Der neue Text ist lang (37 Druckseiten in der PDF-Fassung, wesentlich lĂ€nger als der Text hier), aber fĂŒr Interessenten sehr lesenswert.

Nachtrag, 14.10.2009: Auf der Webseite von „Exgay-Observer”, Eintrag vom 10.10.2009, ist zu lesen, dass sich Prof. Mark Yarhouse inzwischen offenbar vorsichtig von dem Buch distanziert hat (Quelle: Webseite von Truth Wins Out).
Dies wird aber Zweit-Berichter wie die „Partei Bibeltreuer Christen” (PBC) nicht hindern, sich noch lange auf die angeblich „erste Studie mit modernstem wissenschaftlichen Aufbau” zu berufen, siehe z.B. deren Webseite zum Thema

Geht es auch ohne so viel Wissenschaft?

Nach so viel Erörterung von wissenschaftlichen und pseudo-wissenschaftlichen Argumentationen ist es vielleicht gut, bei den Fragen „Wie entsteht HomosexualitĂ€t?”  „Kann man sie verĂ€ndern?” „Wie viele Homosexuelle (als Prozentsatz der Allgemeinbevölkerung) gibt es eigentlich?” zu den einfachen SĂ€tzen zurĂŒckzukehren, mit denen die BEFAH (Bundesarbeitsgemeinschaft der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen) ihre Webseite zum Thema „Wie entsteht HomosexualitĂ€t?” abschließt [1].
Ich komme zum Schluss bewusst auf die Eltern von Homosexuellen zu sprechen, weil mir bei einem Kongress „Sexualethik und Seelsorge” des Weißen Kreuzes (Okt. 2007) auffiel, dass sie eigentlich die sind, die oft unter den „wissenschaftlichen” Argumenten am meisten leiden: Ex-Gay-Autoren nehmen ĂŒblicherweise Zuflucht zu populĂ€rwissenschaftlichen Theorien, die aus der Psychoanalyse abgeleitet sind. Junge Schwule und Lesben mögen das vielleicht ignorieren können, Eltern, vor allem MĂŒtter, werden aber in SchuldgefĂŒhle gedrĂ€ngt, wenn sie auf die Frage hin „Wie ist es denn gekommen, dass mein Sohn schwul oder meine Tochter lesbisch wurde?” etwas lesen wie

  • So erzĂ€hlt Ralf, dass er schon als kleiner Junge von seinem Vater als SchwĂ€chling, Muttersöhnchen und SchoßhĂŒndchen verlacht wurde. Deshalb begann er schon frĂŒh, sich mit den vermeintlich stĂ€rkeren Jungen im Kindergarten zu vergleichen. Das setzte er spĂ€ter in der Schule fort. Sein Vater unternahm nie etwas mit ihm. SpĂ€ter hatte er Angst, an den rauen Spielen anderer Jungen teilzunehmen. Im Sportunterricht wurde er verlacht und ausgegrenzt. Mit acht Jahren hatte er zum ersten Mal den Gedanken, sich einen anderen Körper „anzueignen”, um auch ein richtiger Junge zu sein. In der PubertĂ€t erfĂŒllte er sich diesen Wunsch in seinen Masturbationsphantasien, spĂ€ter beim Sex mit anderen MĂ€nnern. In seinen inneren Stimmen der Abwehr konnte Ralf vor allem diejenige hörbar machen, die er seinem Vater zuordnete. Zentral in diesen Botschaften war der Satz: „Ich habe keinen mĂ€nnlichen Körper!” (aus dem Grundsatzartikel „HomosexualitĂ€t” von wuǝstenstrom e.V. [10]

Bei dem schon genannten Kongress des Weißen Kreuzes sah ich nur Literatur ĂŒber HomosexualitĂ€t allgemein oder fĂŒr Homosexuelle selbst (Literatur, die ihre HomosexualitĂ€t als negativ beschrieb). Nichts fĂŒr betroffene Eltern. Es hĂ€tte Literatur der BEFAH gegeben, die wurde aber verschwiegen, weil sie in die „falsche” Richtung ging, nĂ€mlich in die Richtung eines Bejahens der HomosexualitĂ€t ihrer Kinder.

Aus der Webseite „Wie entsteht HomosexualitĂ€t?” der BEFAH: „Es gibt mehr HomosexualitĂ€t auf der Welt, als es Schwule und Lesben gibt. FĂŒr Sex mit dem gleichen Geschlecht muss man nicht homosexuell sein. FĂŒr die Liebe freilich schon.” 

Wenn sich mehr Menschen damit zufrieden geben, und dann noch von ihrer Kirche vermittelt bekommen, dass Gott keinen Menschen wegen seiner HomosexualitĂ€t zurĂŒckweist (die im heutigen Sinn in der Bibel noch gar nicht vorkommt), dann ist schon viel gewonnen.

Quellen:

  1. BEFAH-Webseite Wie entsteht HomosexualitÀt?
  2. DIJG-Webseite Ist VerÀnderung möglich? Eine Analyse der ersten prospektiven Langzeitstudie
  3. Valeria Hinck Spitzerstudie, Amsterdam-Studie, etc. – was steht dort wirklich (nicht)?
  4. HuK-Webseite Konflikte nach Parzany-Predigt
  5. HuK-Webseite PositionserklÀrung 1 der APA 2000
  6. Robert L. Spitzer Neue Studie zur Frage der VerÀnderbarkeit einer homosexuellen Orientierung (aus dem Bulletin-Sonderheft 2005 des DIJG)
  7. Robert L. Spitzer – Aufzeichnung eines Interviews auf Youtube (englisch)
  8. Reinhold Weicker Der unbekannte wissenschaftliche Text
  9. Reinhold Weicker Was beweist die Spitzer-Studie wirklich?
  10. wuestenstrom-Webseite HomosexualitÀt

 

Quellenverweise sind genau solche, sie stellen keine Empfehlung des Autors oder der HuK dar.